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Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Titel: Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Autoren: Yasmina Khadra
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Haupt.
    „Der Kommissar ist keine zwanzig mehr. Da ist
    er übrigens nicht der einzige. Er hat es für richtig gehalten, sich aus dem Rennen zurückzuziehen.
    Das ist sein gutes Recht. Er wird seine Gründe ha-
    ben, andere mögen finden, er sei im Unrecht. Im
    einen Fall wie im anderen betrifft es, trifft es nur ihn … Glück kann ich ihm abschließend keines
    wünschen. Seinem Glück hat er gerade einen Tritt
    gegeben. Ich wünsche ihm viel Mut, denn die Pen-
    sion ist kein leichter Job für einen, der jede Menge Gespenster hinter sich herschleift …“
    Er nimmt einen Schluck Wasser und sagt: „Mon-
    sieur Menouar, Sie sind an der Reihe. Und bitte
    machen Sie es kurz.“
    Der Direx ist bleich. Mit einem derart kurzen
    Prozeß hat er nicht gerechnet. Er ist völlig über-
    rumpelt, und die Rede, die er sorgsam auf drei
    Blatt zu Papier gebracht hat, kommt ihm mit einem

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    Mal ganz unwirklich vor, dubioser als eine Alchi-
    mistenformel.
    „Bitte, Monsieur Menouar!“ Mourad Smaïl wird
    ungeduldig.
    Der Direx taut nur mit Mühe aus seiner Erstar-
    rung auf. Er wankt ans Rednerpult und betastet
    linkisch das Mikro, bis Omar Rih ihm schließlich
    zu Hilfe kommt. Als nächstes verheddert er sich
    auf der Suche nach einem unauffindbaren Taschen-
    tuch, gibt irgendwann auf und wendet sich seinen
    Blättern zu, die überflüssig geworden sind und nur
    stören. Die Schlinge des Schweigens zieht sich
    enger zu, macht ihn noch nervöser. Er räuspert
    sich, um einen hartnäckigen Kloß aus dem Hals zu
    entfernen, atmet tief durch und fängt mit unsicherer Stimme an: „Der Herr Generaldirektor hatte recht,
    nicht näher auf die Laufbahn von Kommissar Llob
    einzugehen. Sinnigerweise fällt diese Aufgabe, so
    undankbar sie sein mag, mir zu.“
    Jetzt hat er keine Puste mehr. Er verhaspelt sich,
    konzentriert sich, steigt in die tiefsten Tiefen seines Ich herab, um von dort einen Mut hochzuholen,
    dem er vor langen Jahren abgeschworen hat, da er
    nicht die Empfindsamkeit einer Hierarchie verlet-
    zen wollte, die an die Unterwürfigkeit und stumme
    Ergebenheit ihrer Subalternen gewöhnt ist. Der
    Direx ist sich des Risikos bewußt, das er im Begriff ist einzugehen. Ich ahne, wie er unter Schmerzen
    den Stein des Sisyphus vor sich herrollt, aber er
    läßt nicht los und erklimmt, Stufe um Stufe, den
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    Berg der Unsicherheiten. Mit schweißnasser Stirn
    und ausgedörrter Kehle ringt er nach Worten inmit-
    ten des Sturms. Seine Hände sind feucht vom Um-
    klammern der allgemeinen Aufmerksamkeit, seine
    Adern geschwollen unter der Blicke Last. Er holt
    Luft, tief und tiefer, hebt die Augen auf und läßt
    den Blick über die versammelte Zuhörerschaft glei-
    ten, dann hin zu mir. Ich lächele ihm zu, und wie
    von Zauberhand befreit er sich aus den Klauen der
    Angst und legt los:
    „Es ist höchst anmaßend, über andere urteilen zu
    wollen. Vorausgesetzt, man ist ihnen überhaupt
    ebenbürtig, ist es wert, sie zu führen, hat ihren Gehorsam und ihr Vertrauen verdient. Chef zu sein,
    setzt voraus, den anderen etwas voraus zu haben,
    Weisheit vielleicht, mehr Diensteifer oder größere
    Weitsicht; etwas im guten Sinn Überlegenes, das
    ihre Bereitschaft rechtfertigen kann, den verschro-
    bensten Anweisungen Folge zu leisten, nicht zu
    meckern und gewisse Überschreitungen hinzuneh-
    men, die jemand begeht, den Vorschriften und
    Konventionen als unantastbar hinstellen. Mit Bra-
    him war das keine leichte Sache. Ich war ein gutes
    Jahrzehnt lang sein Chef, und unser Verhältnis war
    nicht immer ungetrübt. Wir haben uns manchmal
    angebrüllt, bis uns die Stimme versagt hat, wir ha-
    ben oft gar nicht mehr miteinander geredet. Die
    grauen Haare auf meinem Kopf, die habe ich ihm
    zu verdanken. Ich habe mir wegen ihm manche
    Abreibung geholt. Und was bleibt jetzt von alle-

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    dem? Eine Abschiedsrede, die ich improvisieren
    muß, denn die Worte, die ich gestern vorbereitet
    habe, sind heute schon Makulatur … Was sagen
    über Kommissar Llob, hier und jetzt, ganz spontan,
    auf die Gefahr hin, sich ungeschickt auszudrücken
    oder vielleicht resigniert zu klingen? Werden mei-
    ne Worte auf der Höhe seiner Taten sein? Ich
    fürchte nein. Und so wäre ich Ihnen dankbar, wenn
    Sie mir vergeben wollten, falls auch ich nicht im-
    mer auf der Höhe des Augenblicks sein sollte. War
    Brahim ein guter Polizist? Ich glaube schon. Ein
    schwieriger Untergebener, das ja, aber ein hervor-
    ragender Polizist. Hatte er recht, das eine
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