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Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Titel: Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Autoren: Yasmina Khadra
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glücklich
    zu machen, glaub mir.“
    Er legt mir die Hände auf die Schultern, küßt
    mich flüchtig. „Wirst mir fehlen.“ Und macht sich
    aus dem Staub, unfähig, seine Rührung zu unter-
    drücken.
    Während er sich betrübt seinen Weg durch die
    Menge bahnt, frage ich mich, ob Feindschaft letzt-
    lich vielleicht nur auf einem banalen Mißverständ-
    nis beruht, einem fatalen Kommunikationsproblem.
    Lino schlägt vor, im Rimmel weiterzufeiern, einem schicken Restaurant an der Küste. Ich erkläre
    ihm, daß mir sehr viel mehr danach zumute ist,
    mich einfach treiben zu lassen. Es ist ein prachtvoller Tag, und es täte mir gut, eine Weile Zwiespra-
    che mit meinem Schatten zu halten. Er dringt nicht

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    weiter in mich und verspricht, gegen Abend bei
    mir vorbeizuschauen.
    „Versuch dich nicht schon vorher zu besaufen.“
    „Werde tun, was ich kann …“

    Ich habe mich durch eine kleine im Efeu versteckte
    Tür abgesetzt, meinen Wagen vom Parkplatz ge-
    holt und bin den ganzen Vormittag durch die Stra-
    ßen gekurvt. Gegen Mittag bin ich in einem Bistro
    zu Füßen des Märtyrerdenkmals eingekehrt und
    habe drei Sandwiches mit Merguez verdrückt, ein
    halbes Dutzend Zigaretten gequalmt und mir da-
    nach einen anständigen Kaffee auf der Terrasse
    vom Oasis genehmigt, im Schatten regenbogenfar-bener Sonnenschirme. Gegen fünfzehn Uhr bin ich
    zur Moutonnière* [* Name der Schnellstraße, die nahe der Küste vom Flughafen zur Stadt führt] zurück und habe einer Gruppe Clochards beim Streiten zugesehen.
    Ihr unverständliches Gezänk sprudelte aus den
    Wellen hoch und zerfranste weit hinten am Hori-
    zont, aufgesogen vom Tumult des Mittelmeers.
    Das Meer ist in Trance. Es wirft seine Sturms-
    trupps ans Ufer, versucht, die Felsen zu zerbrö-
    ckeln, macht Vorstöße und Rückzieher, die nie-
    manden täuschen. Eines schönen Tages werde ich
    mir Angeln kaufen und von der alten Landungs-
    brücke herab den Fischen auflauern. Ich werde mir
    einen Sonnenhut überstülpen und von früh bis spät
    mit meinen Kindern plaudern. Mina wird mir zuse-
    hen, wie ich unermüdlich meine Köder auswerfe,
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    einen immer weiter als den anderen, und jede mei-
    ner Handbewegungen wird unter ihrem Blick zu
    einer Heldentat. Später werden wir am Strand die
    gefangenen Fische grillen. Der Abend wird es nicht
    leicht haben, uns aus unseren Träumen zu reißen.
    Ein Spaziergänger fragt mich nach der Uhrzeit.
    Seltsamerweise ist meine Uhr um fünf nach halb
    vier stehengeblieben. Ich werfe mir die Jacke über
    die Schulter und mache mich Richtung Stadt auf
    den Weg, entlang der Küstenpromenade, quer
    durch Bab El-Oued und die Kasbah, und parke
    zuletzt an der Place des Martyrs. Auf der Suche
    nach ich weiß nicht was. Algier ist manchmal wie
    eine Dunkelkammer. Ein einziger Lichtstrahl könn-
    te alles verderben.
    Ich muß an Serdj denken, den sie in einer vorge-
    täuschten Straßensperre einen Kopf kürzer ge-
    macht haben, an seinen Jüngsten, der bei der Trau-
    erfeier hinter einem Fahrradreifen herlief, ohne zu begreifen, warum so viele Leute im Haus waren.
    Einen Seufzer weiter steht mir eine zertrümmerte
    Bar vor Augen. Selbstgebastelte Bombe. Eine
    Schule erinnert mich daran, daß sie auf Schüler
    geschossen haben, die kaum den Windeln ent-
    wachsen waren. Eine Toreinfahrt erzählt mir die
    Geschichte des jungen Rekruten, der nie die Pensi-
    onärsfreuden des Kegelns kennenlernen wird.
    Nichts als Tragödien auf meinem Weg, nichts als
    tragische Mißverständnisse …
    Ich erinnere mich an den Tag, an dem ich zum

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    ersten Mal den Fuß nach Algier gesetzt habe. Es
    war ein Freitag. Der ächzende Bus, der mich auf
    dem Umweg über Ghardaïa aus Igidher entführt
    hatte, kam genau in dem Moment auf dem Place du
    1er Mai zum Stehen, als der Muezzin zum Dohr -
    Gebetrief. Ich hatte meinen Koffer am Eingang der Moschee abgestellt. Nach dem Gebet stand er
    immer noch da, nur eine Spur zur Seite geschoben,
    um den Zutritt in den Gebetsraum freizuhalten. Das
    war 1967, zu einer Zeit, da man die Nacht verbrin-
    gen konnte, wo sie einen überraschte, ohne um
    seinen Geldbeutel bangen zu müssen, geschweige
    denn um sein Leben.
    An jenem Freitag übertraf der Frühling sich
    selbst. Die Balkons standen in vollem Blüten-
    schmuck, und die Mädchen, eingehüllt in milchige
    Siegesbanner, dufteten wie Blumenwiesen. Es war
    die Zeit, da der Zufall die Tage nach dem Vorbild
    des lieben Gottes schuf – glückliche Tage.
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