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Collins, Suzanne

Collins, Suzanne

Titel: Collins, Suzanne
Autoren: Flammender Zorn (Die Tribute von Panem Bd 3)
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im Dorf der Sieger sind unversehrt. Ich stürze in
das Haus, in dem ich das ganze letzte Jahr über gelebt habe, schlage die Tür
hinter mir zu und lehne mich dagegen. Alles scheint unberührt. Sauber.
Gespenstisch still. Wieso bin ich nach Distrikt 12 zurückgekehrt? Wie sollte
dieser Besuch mir dabei helfen, die Frage zu beantworten, der ich nicht
ausweichen kann?
    »Was soll ich tun?«, flüstere ich den Wänden zu. Ich weiß
es wirklich nicht.
    Die Leute reden auf mich ein, sie reden, reden, reden.
Plutarch Heavensbee. Seine berechnende Assistentin, Fulvia Cardew. Eine bunte
Truppe von Anführern aus den Distrikten. Militärs. Ausgenommen Alma Coin, die
Präsidentin von Distrikt 13, die alles bloß beobachtet. Sie ist um die fünfzig,
das graue Haar fällt ihr wie ein Tuch auf die Schultern. Ihre Haare faszinieren
mich irgendwie, sie sind so gleichförmig, ohne Makel, ohne Strähnen, kein
einziges ist gespalten. Auch Coins Augen sind grau, aber nicht so wie die Augen
der Leute aus dem Saum. Sondern blass, fast als wäre alle Farbe aus ihnen
gewichen. Die Farbe von Schneematsch, der nur dazu da ist wegzutauen.
    Ich soll die Rolle spielen, die sie sich für mich
ausgedacht haben. Das Symbol der Revolution. Der Spotttölpel. Was ich in der
Vergangenheit getan habe - dem Kapitol bei den Spielen die Stirn zu bieten und
damit alle vereint zu haben -, das ist nicht genug. Jetzt soll ich der
tatsächliche Anführer werden, das Gesicht, die Stimme, die Verkörperung der
Revolution. Die Figur, die den Distrikten - von denen sich die meisten
inzwischen im offenen Krieg mit dem Kapitol befinden - den Weg zum Sieg weist.
Aber nicht nur ich allein. Ein ganzes Team steht bereit, das mich umsorgen,
einkleiden, meine Ansprachen verfassen, meine Auftritte planen soll - so
schrecklich vertraut klingt das -, ich selbst muss nur meine Rolle spielen, so
überzeugend wie möglich. Manchmal höre ich ihnen zu, manchmal betrachte ich
auch nur die perfekte Linie von Coins Haar und grübele über der Frage, ob sie
wohl eine Perücke trägt. Irgendwann verlasse ich den Raum, weil ich
Kopfschmerzen bekomme oder weil es Essenszeit ist oder weil ich gleich anfange
zu schreien, wenn ich nicht ans Tageslicht komme. Ich mache mir nicht die Mühe
eines Kommentars. Ich stehe einfach auf und gehe hinaus.
    Gestern Nachmittag, als sich die Tür hinter mir schloss,
hörte ich Coin sagen: »Ich habe euch ja gesagt, wir hätten zuerst den Jungen
retten sollen.« Sie meint Peeta. Da bin ich ganz ihrer Meinung. Er hätte ein
vorzügliches Sprachrohr abgegeben.
    Und wen haben sie sich stattdessen aus der Arena geangelt?
Mich, aber ich kooperiere nicht. Dazu noch Beetee, einen älteren Erfinder aus
Distrikt 3, den ich nur selten sehe, weil er in die Waffenabteilung verfrachtet
wurde, kaum dass er wieder aufrecht sitzen konnte. Sie haben ihn buchstäblich
im Krankenbett auf irgendein Topsecret-Gelände gekarrt und seitdem lässt er
sich nur gelegentlich zu den Mahlzeiten blicken. Er ist sehr intelligent und
sehr willig, sich in den Dienst der Sache zu stellen, aber ein Agitator ist er
sicher nicht. Dann ist da noch Finnick Odair, das Sexsymbol aus dem
Fischereidistrikt, der in der Arena dafür gesorgt hat, dass Peeta überlebte,
als ich dazu nicht in der Lage war. Finnick wollen sie auch in einen Rebellenführer
verwandeln, aber erst müssen sie es hinkriegen, dass er länger als fünf Minuten
wach bleibt. Und selbst wenn er bei Bewusstsein ist, muss man ihm alles dreimal
sagen, damit es zu ihm durchdringt. Die Ärzte meinen, das kommt von dem
Stromschlag, den er in der Arena abbekommen hat, aber ich weiß, dass es so
einfach nicht ist. Ich weiß, dass Finnick sich auf nichts in Distrikt 13
konzentrieren kann, weil er unbedingt wissen muss, was das Kapitol mit Annie
anstellt, dem verrückt gewordenen Mädchen aus seinem Heimatdistrikt, dem einzigen
Menschen auf Erden, den er liebt.
    Meinen Vorbehalten zum Trotz habe ich Finnick schließlich
verziehen, dass er in die Verschwörung, deretwegen ich hier gelandet bin,
eingeweiht war. Er hat wenigstens eine Ahnung davon, was ich durchmache.
Außerdem hält man es kaum durch, jemandem böse zu sein, der die ganze Zeit
weint.
    Wie ein Jäger, um ja kein Geräusch zu machen, schleiche
ich mich durchs Erdgeschoss. Ich nehme ein paar Andenken mit: ein Foto meiner
Eltern am Tag ihrer Hochzeit, ein blaues Haarband für Prim, das Familienbuch
über Ess- und Arzneipflanzen. Das Buch öffnet sich auf einer Seite mit
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