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Collins, Suzanne

Collins, Suzanne

Titel: Collins, Suzanne
Autoren: Flammender Zorn (Die Tribute von Panem Bd 3)
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Er
mustert mich und runzelt die Stirn. Ich unternehme einen halbherzigen Versuch,
mein Haar aus den Augen zu streichen, und da erst merke ich, dass es völlig verfilzt
und verknotet ist. Ich fühle mich unsicher. »Was machst du da?«
    »Ich bin heute Morgen auf die Weide gegangen und habe die Dinger
hier ausgegraben. Für sie«, sagt er. »Ich hab gedacht, wir könnten sie neben
das Haus setzen.«
    Ich betrachte die Blumen, die Erdklumpen an den Wurzeln
und halte den Atem an. Erst will mir das Wort nicht einfallen, aber dann.
Primel. Die Blume, nach der meine Schwester benannt wurde. Ich nicke, dann
laufe ich zurück ins Haus und schließe die Tür hinter mir. Doch das Schlimme
kommt von innen, nicht von außen. Vor Schwäche und Angst zitternd, haste ich
die Treppe hoch. An der letzten Stufe bleibe ich hängen und schlage der Länge
nach hin. Ich zwinge mich, aufzustehen und in mein Zimmer zu gehen. Der Geruch
ist nur noch schwach, hängt aber immer noch in der Luft. Da steht sie. Die
weiße Rose zwischen den vertrockneten Blumen in der Vase. Ausgedörrt und
zerbrechlich, doch immer noch mit einem Anflug der Vollkommenheit aus Snows
Treibhaus. Ich nehme die Vase, stolpere hinunter in die Küche und werfe den
Inhalt in die Glut. Die Blumen lodern auf, eine blaue Stichflamme umschließt
die Rose und verzehrt sie. Feuer schlägt Rose, noch einmal. Zur Sicherheit
schmeiße ich die Vase auf den Boden.
    Wieder oben, reiße ich das Schlafzimmerfenster auf, um zu
vertreiben, was von Snows Gestank noch übrig ist. Aber er hängt noch immer an
meinen Kleidern, in meinen Poren. Als ich mich ausziehe, bleiben
spielkartengroße Hautfetzen an dem Stoff hängen. Ich meide den Spiegel, gehe
unter die Dusche und schrubbe mir die Rosen aus Haaren, Körper und Mund, bis
meine Haut knallrosa ist und kribbelt. Dann suche ich mir etwas Sauberes zum
Anziehen. Eine halbe Stunde dauert es, bis ich meine Haare gekämmt habe. Greasy
Sae kommt ins Haus. Während sie Frühstück macht, stecke ich die Kleider, die
ich ausgezogen habe, ins Feuer. Auf ihre Anregung hin schneide ich mir mit
einem Messer die Fingernägel.
    Während ich die Eier esse, frage ich sie: »Wo ist Gale
hin?«
    »Er ist in Distrikt 2. Hat da einen netten Job bekommen.
Ich sehe ihn ab und zu im Fernsehen«, sagt sie.
    Ich grabe in mir, suche nach Groll, Hass, Sehnsucht. Das
Einzige, was ich finde, ist Erleichterung.
    »Ich gehe heute jagen«, sage ich.
    »Hm, gegen ein bisschen frisches Fleisch zusätzlich hätte
ich nichts einzuwenden«, antwortet sie.
    Ich bewaffne mich mit Pfeil und Bogen und mache mich auf
den Weg zur Weide. In der Nähe des Platzes entdecke ich Trupps mit Handschuhen
und Atemschutzmasken und von Pferden gezogenen Karren. Sie sieben aus, was
unter dem Schnee dieses Winters lag. Sammeln die Überreste ein. Einer der
Karren steht vor dem Haus des Bürgermeisters. Ich erkenne Thom, Gales alten
Kollegen. Er hält kurz inne, um sich mit einem Lappen den Schweiß von der Stirn
zu wischen. Ich erinnere mich, dass ich ihn in Distrikt 13 gesehen habe, aber
er ist offensichtlich zurückgekommen. Er grüßt, und das gibt mir den Mut zu
fragen: »Habt ihr da drin jemanden gefunden?«
    »Die ganze Familie. Und die beiden Hausangestellten.«
    Madge. Still und freundlich und tapfer. Das Mädchen, das
mir die Brosche schenkte, durch die ich meinen Namen bekam. Ich muss
schlucken. Und ich frage mich, ob sie sich heute Nacht zu den anderen in meinen
Albträumen gesellen und mir Asche in den Mund schaufeln wird. »Ich hatte
gedacht, wo er doch der Bürgermeister war ...«
    »Ich glaube nicht, dass es ein Glück war, Bürgermeister
von 12 gewesen zu sein«, sagt Thom.
    Ich nicke und gehe weiter, wobei ich darauf achte, ja
nicht auf die Ladefläche zu schauen. Überall in der Stadt und im Saum das
gleiche Bild. Die Ernte der Toten. Wo früher unser altes Haus stand, drängen
sich die Karren auf der Straße. Die Weide gibt es nicht mehr, besser gesagt,
sie hat sich auf dramatische Weise verwandelt. Eine tiefe Grube wurde
ausgehoben, in die reihenweise die Knochen gelegt werden, ein Massengrab für
mein Volk. Ich gehe um das Loch herum und betrete den Wald an der gleichen
Stelle wie immer. Was eigentlich gar nicht mehr nötig wäre. Der Zaun steht nicht
mehr unter Spannung, lange Äste sollen ihn stützen und die Raubtiere
fernhalten. Aber alte Gewohnheiten lassen sich nicht so leicht ablegen. Ich
überlege, ob ich zum See gehen soll, doch ich bin so schwach, dass ich es
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