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Collector’s Pack

Collector’s Pack

Titel: Collector’s Pack
Autoren: Mario Giordano
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Mal seit langer Zeit wieder vollständig und wie befreit. Nikolas schien es nicht anders zu gehen.
    Dein Bruder Nikolas.
    Manchmal streunten sie albern wie kleine Jungs durch die Orte und Städte, die sie unterwegs passierten, um nachzusehen, was deren Bewohner gerade so trieben an diesem endlosen dreizehnten Juli. Als sie einen Mann entdeckten, der gerade mit einem Messer auf eine Frau losging, und Nikolas den Vorschlag machte, ihn zu töten, spürte Peter, wie sich sein Dämon wieder regte.
    »Auf keinen Fall!«, beharrte er. »Wir können froh sein, wenn wir die Welt nicht vernichten. Wir sind nicht Gott.«
    »Doch, Peter«, sagte Nikolas leise. »Hast du das immer noch nicht kapiert? Wir sind jetzt Gott.«
    »Nein, Niko. Wir sind Gespenster.«
    Sie wurden zu Geistern. Von nun an mieden sie die Nähe von Menschen noch mehr als sonst. Ihre Gespräche wurden spärlicher und versickerten irgendwann ganz. Schweigend und eingeklemmt in ihre eigenen Gedanken trotten sie nebeneinander her. Sie glitten in die nächste Phase. Erst kam die Wut und dann die Depression. Peter erwischte es als Ersten. In Griechenland verlor er zuerst den Appetit und dann die Beherrschung. Der Anlass hätte nichtiger nicht sein können. Ausgerechnet Nikolas wollte in Athen plötzlich unbedingt die Akropolis besichtigen.
    Die verdammte Akropolis!
    »Scheiße, Niko, was soll das? Wir machen hier keine verdammten Ferien!«
    »Und ich hab endgültig die Schnauze voll, dass du mir ständig vorschreibst, was ich tun oder lassen soll! Ich bin dreißig Jahre ganz gut ohne dich klargekommen!«
    »Ach ja, echt? Du bist ein verdammter Mörder geworden!«
    In diesem Moment schlug Nikolas zu. Mit seinem gesunden rechten Arm drosch er auf Peter ein. Peter wehrte sich zunächst nur halbherzig, dann packte auch ihn die Wut, und er schlug zurück, so hart er konnte. Bis Nikolas ihm die Nase brach.
    »Verpiss dich!«, schrie Peter seinen Bruder an und versuchte, die heftige Blutung zu stoppen. »Ich brauch dich nicht! Hau ab!«
    Und das tat Nikolas auch. Peter richtete sich im King George Palace Hotel ein und hinterließ eine kurze Nachricht für Nikolas in dem Café in dem sie sich geprügelt hatten. Drei Wochen lang vergrub er sich in dem Luxushotel, wechselte jeden Tag das Zimmer, aß kaum noch, plünderte nur die Hotelbar und hielt den in den Raum gestanzten Gästen betrunkene Vorträge, schrie sie an, weil sie nicht antworteten, und kam ihnen gefährlich nahe. Einmal, in volltrunkenem Zustand, überlegte er, ob er die junge nackte Frau in dem Zimmer, das er gerade mühsam aufgebrochen hatte, einfach vergewaltigen sollte.
    Scheiß drauf, ob sie daran krepiert. Scheiß auf die Apokalypse. Scheiß auf Nikolas. Scheiß auf mich.
    Als er irgendwann auf dem Fußboden erwachte, sah er erleichtert, dass die Frau immer noch unverändert im Bett lag. Er selbst lag in seinem eigenen Erbrochenen. Als er ins Badezimmer trat, sah er einen Geist mit geschwollenem Gesicht im Spiegel.
    So konnte es nicht weitergehen.
    Ihr werdet sterben. Ihr werdet hier beide sterben. Einfach so verrecken. Ihr verdient es nicht besser.
    Peter wusch sich im Hotelpool, rasierte sich zum ersten Mal seit Monaten wieder und zog einen hellen Anzug an, den er einem Geschäftsmann aus dem Koffer stahl. Dann suchte er Nikolas. Auf der Akropolis fand er ihn jedoch nicht mehr, auch nicht in dem Café, wo die Nachricht immer noch unangetastet lag. Peter überlegte, ob Nikolas womöglich bereits weitergegangen oder nach Nepal zurückgekehrt war. Dennoch verließ er Athen nicht, sondern suchte die Stadt weiter nach seinem Bruder ab. Jeden »Tag« um sechs Uhr abends stieg er auf die Akropolis. Seinen Bruder traf er dort nie an. Dafür sah er dort seinen ersten Mh‘u .
    Eine Bewegung im Augenwinkel. Eine Bewegung! Nach Monaten in einer vollkommen erstarrten Welt endlich wieder eine Bewegung. Als Peter den Kopf ruckartig in die Richtung der Bewegung wandte, in der Annahme, es sei Nikolas, sah er den Löwenmann. Eine große, fast durchscheinende Gestalt mit dem Kopf eines Löwen – oder eines Reptils, wie Peter beim Näherkommen erkannte. Die Gestalt stand vor dem Tempel der Athena Nike und schien auf der Stelle zu treten. Eine leichte, fast fließende Bewegung. Peter schätzte die Größe des Wesens auf etwa drei Meter und trat vorsichtig näher. Er hatte keine Angst. Er war doch längst tot. Er fürchtete nur, dass es sich um eine Halluzination handeln könnte. Doch das Wesen verschwand nicht. Es
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