Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Collector’s Pack

Collector’s Pack

Titel: Collector’s Pack
Autoren: Mario Giordano
Vom Netzwerk:
verteilen die Amulette. Wir versuchen, aus dem Buch Dzyan schlau zu werden.«
    »Das kann Jahre dauern! Jahrzehnte womöglich!«
    »Na und? Wir haben doch Zeit. Oder hast du was Besseres vor?«
    Und Jahrzehnte brauchten sie tatsächlich. Während sie das Buch Dzyan, das sie in der Via Corinaldo auf einem Tisch fanden, Stück für Stück mühsam entzifferten, wurden sie alt. Aber sie lernten dazu. Sie lernten, was die Amulette bedeuteten und was diese Grube auf Oak Island war. Sie lernten, dass die Echsenwesen, mit denen sie nie ein Wort wechselten, sich selbst Mh‘u nannten. Die Mh‘u waren immer da, bewegten sich wie Traumwandler durch die Stadt und stießen ihre leisen Zischlaute aus. Die Mh‘u waren uralt und offenbar dazu verdammt, in dieser eingefrorenen Welt zu leben. Warum und woher sie so plötzlich aufgetaucht waren, fanden Peter und Nikolas nicht heraus. Die Mh‘u schienen ihre eigenen bevorzugten Pfade und Orte zu haben. Engel waren sie jedenfalls nicht, doch allein ihre schweigende Anwesenheit, ihre sanften, anmutigen Bewegungen gaben Peter und Nikolas Trost. Man konnte sie auch durchaus berühren. Sie fühlten sich warm an, aber mehr Kontakt ergab sich nie. Ob die Mh‘u unterschiedliche Geschlechter hatten, fanden Peter und Nikolas nicht heraus, sie sahen auch nie »Kinder«. Sie erkannten aber allmählich individuelle Unterschiede und gaben den einzelnen Mh‘u Phantasienamen. Alaniel, Fanaion, Pandur, Lannoch, Jyla, Nukka, Swiat, Peraindis, Narescha, Olbar, Krina, Virashida, Khabla, Mirhiba, Zulbad, Isaura, Chicha, Ubangi, Chakmol, Eje, Shapash, Dagan, Gumblat, Dash.
    Sie lernten, wie sie die Pforten der Hölle schließen konnten. Nebenbei studierte Peter Medizin, denn mit den Jahren wurden kleinere Behandlungen immer häufiger nötig. Sie wurden alt. Sie wurden krank. Und eines Tages, das war ihnen längst klar, würden sie in dieser stummen Welt auch sterben und vergehen. Es gab kein Zurück mehr.
    Sie akzeptierten auch das. Sie hatten die letzte Phase erreicht. Ihr einziges Lebensziel bestand nun darin, das Buch Dzyan vollständig zu entziffern. Als sie die Schriften endlich verstanden hatten, waren sie beide fast sechzig. Fünfundzwanzig Jahre in einem erstarrten, ewigen Mittag, mit schalem Essen und keiner anderen Gesellschaft als dem eigenen Bruder und schweigenden Mh‘u .
    Peter legte das Buch Dzyan wieder an seinen Platz und hinterließ Laurenz obenauf eine handschriftliche Notiz. Dann machten sie sich auf den Weg nach Jerusalem und taten, was notwendig war. Als alles erledigt war, wollte Nikolas Marina unbedingt noch einmal sehen.
    »Wir sind doch schon halb da, Peter.«
    Peter zuckte mit den Schultern. »Klar. Bisschen Urlaub haben wir uns wohl verdient.«
    Auch im Kloster Tengboche hatte sich nichts verändert. Der immer noch gleiche Monsun hing über den Bergen, und Marina lag noch genau so in ihrem Dornröschenschlaf wie vor fast fünfundzwanzig Jahren. Dennoch verlor Nikolas keine Zeit. Er hockte sich so nah wie möglich vor sie, ohne sie zu gefährden, und begann, ihr alles zu erzählen, was sie aus dem Buch Dzyan über das Böse wussten, über die Infektion der Welt, über die Mh‘u , das alte Gebet und auch über die Truhe.
    »Die Truhe, Marina!«, flüsterte Nikolas. »Sie werden sie dir geben. Es ist alles vorbereitet. Du musst keine Angst haben. Wenn du die Truhe an dich nimmst, hinterlass das Amulett von Sara-la-Kâli dafür. Es wird durch die Jahrhunderte zu Ioona finden. Das ist der Plan. Sobald du die Truhe hast, übergibst du sie Maria. Sie wird dort auf dich warten. Sie muss dir aber ihr Amulett geben, hörst du? Das mit dem Kupferzeichen. Dieses Amulett bringst du dann Shimon Kohn in Jerusalem. Er allein weiß, was dann geschehen muss.«
    Erst nachdem er Marina die Abläufe aus dem Buch Dzyan und den komplizierten Ringtausch von Amuletten und Truhe hunderte Male erzählt und ihr auch die erste Sure des Korans immer wieder vorgesungen hatte, war Nikolas bereit, Abschied zu nehmen. Für immer.
    »Und wohin jetzt?«, fragte Peter.
    »Zurück nach Rom.«
    »Warum wieder Rom? Die Welt ist groß, Niko.«
    »Wir sind noch nicht fertig, Peter. Schon vergessen?«
    Nein, nicht vergessen.
    Das Schlimmste stand ihnen noch bevor, und sie zögerten es hinaus bis zuletzt. Sie hatten viel gelernt aus dem Buch Dzyan, auch, dass sie sich in einem Zustand der Gnade befanden. Sie fanden keine andere Übersetzung für das Wort der Mh‘u . Die Mh‘u hatten sich aufgelöst in der Zeit,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher