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Collector’s Pack

Collector’s Pack

Titel: Collector’s Pack
Autoren: Mario Giordano
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und alles was wir anfassen auch unendlich schnell.«
    »Und das bedeutet?«
    »Ich bin kein Physiker, aber es könnte katastrophale Folgen haben. Möglicherweise setzen wir gigantische Energiemengen frei oder hinterlassen eine Kielspur von Schwarzen Löchern.«
    »Du meinst, es könnte sein, dass wir gerade die Apokalypse über die Welt bringen und alles vernichten?«
    Peter zuckte hilflos mit den Schultern. »Scheiße, Niko, ich weiß es nicht. Aber wenn, dann gibt es ohnehin kein Zurück mehr.«
    »Also, was sollen wir tun?«
    Peter sah seinen Bruder an. »Vielleicht beten«, sagte er ernst, und Nikolas nickte.
    Unterwegs wechselten sie mehrfach ihre Kleidung. In Indien und Pakistan bedienten sie sich aus offenen Läden an der Straße, und sahen danach aus wie Einheimische. Sie rasierten sich auch nicht mehr. Die ganze Zeit über trugen sie die Metallkiste mit den Amuletten bei sich, wie einen Schatz, den sie irgendwann gegen echte Zeit würden eintauschen können.
    Irgendwann .
    Türen zu öffnen erwies sich als Problem. Sie konnten es nur zu zweit lösen, indem der eine die Scharniere »aufwärmte« und der andere sich mit dem Schloss abmühte. Aber auch dann bewegten sich Türen nur äußerst träge. Sie schliefen in Betten, die ewig auf ihre eigentlichen Schläfer warteten, sie tranken aus fremden Gläsern und aßen von fremden Tellern, immer das gleiche schale Essen von Menschen, die sich irgendwann sehr wundern oder in einer gewaltigen Explosion verdampfen würden, wenn die Zeit wieder in ihre Spur zurücksprang.
    Sie wuschen sich in Flüssen und Tümpeln. Wenn sie nur langsam genug ins Wasser stiegen, wurde es wieder flüssig und sie konnten sich darin bewegen. Schwimmen dagegen erwies sich als unmöglich. Das bedeutete, dass sie große Wasserflächen auch nicht überqueren konnten. Sobald sie an Flüsse oder große Seen stießen, mussten sie lange Umwege machen. Einen Ozean zu überqueren würde unmöglich sein. Sobald sie bergiges Gelände erreichten, mussten sie ihr jeweiliges Fahrrad aufgeben und zu Fuß weitermarschieren. Am Hindukusch rutschte Nikolas beim Abstieg aus und brach sich den linken Arm. Ein Stück Knochen ragte aus der Wunde heraus.
    »Verdammt, schieb ihn wieder rein!«, herrschte Nikolas ihn keuchend an, als Peter entsetzt auf die Wunde starrte. Er musste sich überwinden, den gesplitterten Knochen zurück an Ort und Stelle zu schieben und den Arm so weit einzurenken, dass die Knochenteile an der Bruchstelle wieder richtig aufeinanderlagen. Nikolas schien keinen Schmerz zu spüren, jedenfalls zeigte er es nicht, als Peter den Arm schiente so gut er konnte. Drei Kalenderwochen machten sie Rast, dann wollte Nikolas weiter.
    Das Einzige, was sie davor bewahrte zu verzweifeln, waren die Uhren, der Kalender und ihre Gespräche. Denn während sie weiter Richtung Westen wanderten, Gebirge und Täler durchquerten, immer der wie festgenagelten Sonne nach, holten sie ein ganzes Leben der Trennung nach. Peter erzählte von seiner Kindheit in Köln, von seinen Adoptiveltern, den Urlauben, den Kämpfen der Schulzeit, von seinen Träumen, von seiner ersten Freundin und später von Ellen. Er wunderte sich, an wie viele Details er sich erinnern konnte. Und er wunderte sich auch über seinen Bruder, dessen Kindheit und Jugend nicht so furchtbar gewesen war, wie er sie sich vorgestellt hatte. Wenn Nikolas über Seth sprach, hörte Peter sogar eine gewisse Wärme heraus. Und trotzdem hatte er ihn zum Mörder gemacht.
    »Weißt du was, Peter«, sagte Nikolas, als sie den Bosporus überquerten. »Vielleicht wäre es ganz gut, wenn ich hierbliebe. Ich meine, in diesem Loch in der Zeit.«
    Peter schüttelte den Kopf. »So einfach wirst du es dir nicht machen können, Niko.«
    Damit war dieses Thema vorerst beendet. Die Gespräche versiegten ohnehin immer, sobald sie darüber sprachen, was danach sein würde. Als ob sie aus Versehen etwas berührt hätten, an dem man sich tödlich vergiften konnte. Die Vorstellung, dass sie eine Kielspur der Vernichtung hinter sich herzogen, ließ Peter nicht mehr los und bedrückte ihn mit jedem Tag mehr.
    Du bist die Apokalypse. Du hast versagt.
    Die Verkehrsflugzeuge mit ihren Kondensstreifen hingen unverrückbar am Himmel fest. Die Welt, durch die Peter und Nikolas im Zickzack taumelten, war vollkommen still. Manchmal schrien sie herum, einfach nur so, weil sie die Stille nicht mehr aushielten. Dennoch fühlte Peter sich nie einsam. Im Gegenteil fühlte er sich zum ersten
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