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Coetzee, J. M.

Coetzee, J. M.

Titel: Coetzee, J. M.
Autoren: Eiserne Zeit
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was arbeiten?«
sagte ich. »Es gibt hier eine Menge zu tun.«
    Er sagte nichts, trank aber
den Kaffee, den Becher in beiden Händen haltend.
    »Sie verschwenden Ihr
Leben«, sagte ich. »Sie sind kein Kind mehr. Wie können Sie nur so leben? Wie
können Sie so rumliegen und den ganzen Tag nichts tun? Ich versteh das nicht.«
    Es ist
wahr: ich verstehe es nicht. Etwas in mir revoltiert gegen die Schlappheit, das
Sichhängenlassen, das Willkommenheißen der Auflösung.
    Er tat
etwas, was mich schockierte. Mit geradem Blick, seinem ersten direkten Blick in
meine Augen, spuckte er einen Schleimklumpen – dick, gelb, braun durchsetzt vom
Kaffee – auf den Boden neben meinen Fuß. Dann stieß er mir den Becher hin und
schlenderte davon.
    Das Ding an sich, dachte ich erschüttert: das Ding an sich, zwischen uns
vorgebracht. Nicht auf mich gespuckt, sondern vor mich, wo ich es sehen konnte,
es betrachten konnte, darüber nachdenken konnte. Sein Wort, seine Art Wort, aus
seinem eigenen Mund, warm noch, als es ihn verließ. Ein Wort, unleugbar, aus
einer Sprache vor der Sprache. Erst der Blick und dann das Spucken. Was für ein
Blick? Ein Blick ohne Achtung, von einem Mann zu einer Frau, die alt genug ist,
um seine Mutter sein zu können. Da: nimm deinen Kaffee.
    Letzte
Nacht hat er nicht im Durchgang geschlafen. Die Kartons sind auch weg. Doch als
ich herumstöberte, stieß ich im Holzschuppen auf die Air-Canada-Tasche und eine
Stelle, die er sich in dem Gerümpel aus Brennholz und Reisig freigekratzt haben
mußte. Ich weiß also, daß er vorhat zurückzukommen.
    Sechs Seiten schon, und
alles über einen Mann, dem Du nie begegnet bist und nie begegnen wirst. Warum
schreibe ich über ihn? Weil er ist und nicht ist. Weil ich in dem Blick, mit
dem er mich ansieht, mich selbst sehe, und zwar so, daß es aufgeschrieben
werden kann. Was wäre dieses Schreiben sonst als eine Art Klagelied, mal hoch,
mal tief? Wenn ich über ihn schreibe, schreibe ich über mich; wenn ich über
seinen Hund schreibe, schreibe ich über mich; wenn ich über das Haus schreibe,
schreibe ich über mich. Mann, Haus, Hund: einerlei, welches Wort, durch es
hindurch strecke ich eine Hand aus nach Dir. In einer anderen Welt würde ich
Worte nicht brauchen. Ich würde vor Deiner Tür erscheinen. »Ich bin zu Besuch
gekommen«, würde ich sagen, und dann bedürfte es keiner Worte mehr: ich würde
Dich umarmen und umarmt werden. Aber in dieser Welt, in dieser Zeit, muß ich
Dich mit Worten zu erreichen suchen. Also begebe ich mich Tag für Tag in Worte
und packe die Worte ein in die Seite wie Süßigkeiten: wie Süßigkeiten für meine
Tochter, zu ihrem Geburtstag, zum Tag ihrer Geburt. Worte aus meinem Körper,
Tropfen meiner selbst, damit sie sie auspacke in ihrer eigenen Zeit, um sie in
sich aufzunehmen, zu lutschen, zu absorbieren. Wie es auf dem Bonbonglas steht:
Drops nach alter Art, von den Alten hergestellte Drops, mit Liebe gemacht und
verpackt, mit der Liebe, die wir, da wir anders nicht können, für die
empfinden, denen wir uns geben, um verschlungen oder verschmäht zu werden.
    Obwohl es
den ganzen Nachmittag gleichmäßig regnete, war es bereits dunkel, als ich das
Quietschen des Tores hörte und kurz darauf das Klicken der Hundekrallen auf der
Veranda.
    Ich sah mir
gerade etwas im Fernsehen an. Einer vom Stamm der Ministers und Onderministers hatte der Nation etwas bekanntzugeben. Ich stand, wie ich es immer tue,
wenn sie sprechen; auf diese Weise bewahre ich mir, so gut es geht, meine
Selbstachtung (wer würde es schon vorziehen, einem Erschießungskommando
gegenüber zu sitzen?). Ons buig nie voor dreigemente, nie, sagte er
gerade: Wir beugen uns keinen Drohungen: eine von diesen Ansprachen.
    Die Vorhänge
hinter mir waren offen. In einem bestimmten Moment sah ich ihn, den Mann,
dessen Namen ich nicht weiß und der mir über die Schulter durch das Glas
zuschaute. Ich drehte den Ton also auf, damit, wenn nicht die Worte, die
Kadenzen ihn erreichten, die langsamen, klotzigen Rhythmen des Afrikaans mit
ihren taubmachenden Schlüssen, wie wenn ein Hammer einen Pfosten in den Boden
schlägt. Zusammen, Schlag für Schlag, hörten wir zu. Die Schande des Lebens
unter ihnen: eine Zeitung aufzuschlagen, den Fernseher anzuschalten, wie knien,
und es wird auf einen uriniert. Unter ihnen: unter ihren fleischigen Bäuchen,
ihren vollen Blasen. »Eure Tage sind gezählt«, so flüsterte ich einst, zu
ihnen, die mich nun überdauern werden.
     
     
    Ich war
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