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Coetzee, J. M.

Coetzee, J. M.

Titel: Coetzee, J. M.
Autoren: Eiserne Zeit
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auf
dem Weg nach draußen zu den Geschäften, wollte die Garagentür aufmachen, als
ich einen plötzlichen Anfall hatte: einen Anfall: genau das war es: Der Schmerz
sprang mich an wie ein Hund, schlug mir die Zähne in die Seite, hinterrücks.
Ich schrie auf, unfähig, mich zu bewegen. Da erschien er, dieser Mann, von
irgendwoher, und half mir ins Haus.
    Ich legte
mich auf das Sofa, auf die linke Seite, die einzige bequeme Stellung, die mir
geblieben ist. Er wartete. »Setzen Sie sich«, sagte ich. Er setzte sich. Der
Schmerz begann nachzulassen. »Ich habe Krebs«, sagte ich. »Er ist vorgedrungen
in den Knochen. Das ist es, was weh tut.«
    Ich war keineswegs sicher,
daß er verstand.
    Ein langes Schweigen. Dann:
»Dies ist ein großes Haus. Sie könnten eine Pension daraus machen.«
    Müde wehrte ich ab.
    »Sie könnten
Zimmer an Studenten vermieten«, fuhr er unbeirrt fort.
    Ich gähnte
und hielt mir, da ich die Kinnlade nachgeben fühlte, die Hand vor den Mund.
Früher wäre ich rot geworden deswegen. Aber das war einmal.
    »Ich habe
eine Frau, die mir bei der Hausarbeit hilft«, sagte ich. »Sie ist bis Ende des
Monats fort, ihre Leute besuchen. Haben Sie Leute?«
    Ein sonderbarer Ausdruck:
Leute haben. Habe ich Leute? Bist Du meine Leute? Wohl kaum. Vielleicht kann
man nur von Florence sagen, sie habe Leute.
    Er gab keine Antwort. Er
hatte etwas von Kindlosigkeit: jemand, der kein Kind in die Welt gesetzt hatte;
aber auch selber keine Kindheit gehabt hatte. Sein Gesicht nur Knochen und
wetterharte Haut. Wie man sich keinen Schlangenkopf vorstellen kann, der nicht
alt aussieht, so kann man auch hinter seinem Gesicht kein Kindergesicht sehen.
Grüne Augen, Tieraugen: Kann man sich ein Bild machen von einem Säugling mit
solchen Augen?
    »Mein Mann und ich haben
uns vor langer Zeit getrennt«, sagte ich. »Er ist jetzt tot. Ich habe eine
Tochter in Amerika. Sie ist 1976 weggegangen und ist nicht zurückgekommen. Sie
ist mit einem Amerikaner verheiratet. Sie haben zwei Kinder.«
    Eine
Tochter. Fleisch von meinem Fleisch. Du.
    Er holte
ein Päckchen Zigaretten heraus. »Rauchen Sie bitte nicht im Haus«, sagte ich.
    »Was für eine Invalidität
haben Sie?« sagte ich. »Sie sagen, Sie bekommen eine Invalidenrente?«
    Er hielt die rechte Hand
vor. Daumen und Zeigefinger standen ab; die anderen Finger waren einwärts
gekrümmt. »Ich kann sie nicht bewegen«, sagte er.
    Wir
blickten auf seine Hand, auf die drei krummen Finger mit ihren schmutzigen
Nägeln. Nicht, was ich eine schwielige Arbeiterhand nennen würde.
    »War das
ein Unfall?«
    Er nickte; die Art Nicken,
die zu nichts verpflichtet.
    »Ich zahl
Ihnen was, wenn Sie mir den Rasen schneiden«, sagte ich.
    Eine Stunde hackte er mit
der Heckenschere lustlos an dem Gras herum, das jetzt stellenweise bereits
kniehoch steht. Schließlich hatte er einen Flecken von wenigen Quadratyards in
das Gewucher geschnitten. Dann hörte er auf. »Das ist keine Arbeit für mich«,
sagte er. Ich zahlte ihm die Stunde. Als er ging, stieß er gegen das Katzenklo,
und die Streu flog über die ganze Veranda.
    Alles in
allem mehr Ärger, als er wert ist. Aber ich habe ihn mir nicht ausgesucht. Er hat
mich ausgesucht; oder vielleicht auch nur das eine Haus ohne Hund. Ein Haus der
Katzen.
    Die Katzen sind verstört
durch diese Neuankömmlinge. Wenn sie ihre Nasen draußen sehen lassen, springt
der Hund verspielt auf sie los, und sie sind beleidigt und verziehen sich ins
Haus. Heute wollten sie nicht fressen. Da ich dachte, sie verschmähten das
Futter, weil es im Kühlschrank gestanden hatte, rührte ich etwas heißes Wasser
in die übelriechende Pampe (was ist das? Seehundfleisch? Walfleisch?). Noch
immer verachteten sie es, mit zuckenden Schwanzspitzen den Napf umkreisend.
»Freßt!« sagte ich und schob ihnen den Napf hin. Die Große hob geziert eine
Pfote, um einer Berührung mit dem Napf auszuweichen. Da platzte mir der Kragen.
»Dann fahrt doch zur Hölle!« schrie ich und warf wütend die Gabel nach ihnen –
»ich bin’s leid, euch zu füttern!« Meine Stimme hatte eine neue, schrille
Schärfe, und als ich das hörte, frohlockte ich. Schluß jetzt mit Nettsein zu
Menschen, mit Nettsein zu Katzen, es reichte! »Fahrt zur Hölle!« schrie ich
noch einmal, so laut ich konnte. Mit wetzenden Krallen flohen sie über das
Linoleum.
    Wen kümmert’s? Wenn ich in so einer Stimmung bin, könnte ich eine
Hand auf das Küchenbrett legen und sie ohne mit der Wimper zu zucken abhacken.
Was
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