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Coetzee, J. M.

Coetzee, J. M.

Titel: Coetzee, J. M.
Autoren: Eiserne Zeit
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kümmert mich dieser Körper, der mich verraten hat? Ich schaue meine Hand an
und sehe nur ein Werkzeug, einen Haken, ein Ding zum Ergreifen anderer Dinge.
Und diese Beine, diese schwerfälligen, häßlichen Stelzen: warum muß ich sie
überall mit hinschleppen? Warum sie Nacht für Nacht mit ins Bett nehmen und
unter die Decke packen, und auch die Arme, weiter oben, nahe am Gesicht, und
daliegen, schlaflos in dem Durcheinander? Auch den Unterleib mit seinem dumpfen
Gemurmel, und das schlagende, immerzu schlagende Herz: Warum? Was haben die mit
mir zu tun?
    Wir werden krank, bevor wir
sterben, damit wir von unserem Körper entwöhnt werden. Die Milch, die uns
nährte, wird dünn und sauer; von der Brust uns abwendend, streben wir rastlos
nach einem unabhängigen Leben. Doch dieses erste Leben, dieses Leben auf der
Erde, auf dem Leib der Erde – wird es je, kann es je ein besseres geben? Trotz
aller Traurigkeit und Verzweiflung und Wut hänge ich noch mit Liebe daran.
     
     
    Ich hatte Schmerzen, nahm
zwei von Dr. Syfrets Pillen und legte mich aufs Sofa. Stunden später wachte ich
auf, benebelt und frierend, tastete mich nach oben und ging angezogen ins Bett.
    Mitten in der Nacht spürte
ich eine Anwesenheit im Zimmer, die nur seine gewesen sein konnte. Eine
Anwesenheit oder einen Geruch. Dann ging es weg.
    Vom Flur
kam ein Knarren. Jetzt geht er ins Arbeitszimmer, dachte ich; jetzt macht er
das Licht an. Ich versuchte mich zu erinnern, ob unter den Papieren auf dem
Schreibtisch irgendwelche privaten waren, aber zuviel ging durcheinander in
meinem Kopf. Jetzt sieht er die Bücher, Brett über Brett, und die Stapel alter
Zeitschriften, dachte ich und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Jetzt
betrachtet er die Bilder an der Wand: Sophie Schliemann, herausgeputzt mit dem
Schatz Agamemnons; die gewandete Demeter aus dem Britischen Museum. Jetzt,
leise, zieht er die Schreibtischschubladen hervor. Die oberste, voller Briefe,
Rechnungen, herausgerissener Briefmarken, Fotografien, interessiert ihn nicht.
Aber in der untersten ist eine Zigarrenkiste voller Münzen: Pennies, Drachmen,
Centimes, Schillinge. Die Hand mit den eingerollten Fingern taucht in sie
hinein, nimmt zwei Duros heraus, die groß genug sind, um als Rands
durchzugehen, und sackt sie ein.
    Kein Engel, soviel ist
sicher. Eher ein Insekt, das hinter den Scheuerleisten hervorgekrochen kommt,
wenn es dunkel ist im Haus, und nach Krumen sucht.
    Ich hörte,
wie er am anderen Ende des Flurs die zwei abgeschlossenen Türen aufmachen
wollte. Nur Gerümpel, wollte ich ihm zuflüstern – Gerümpel und tote Erinnerungen;
doch der Nebel in meinem Kopf schloß sich wieder.
     
     
    Verbrachte
den Tag im Bett. Keine Kraft, kein Appetit. Las Tolstoi – nicht die berühmte
Krebsgeschichte, die ich nur allzu gut kenne, sondern die Geschichte von dem
Engel, der seinen Wohnsitz bei dem Schuhmacher aufschlägt. Wenn ich einen
Spaziergang zur Mill Street mache, ob ich da eine Chance habe, meinen eigenen
Engel zu finden, um ihn mit nach Hause zu nehmen und ihm Obdach zu gewähren?
Wohl kaum. Auf dem Land gibt es vielleicht noch einen oder zwei, die in der
Hitze der Sonne an Meilensteine gelehnt dasitzen und dösend abwarten, was der
Zufall bringen wird. Vielleicht auch in den Sqattercamps. Aber nicht auf der
Mill Street, nicht in den Vorstädten. Die Vorstädte, verlassen von den Engeln.
Wenn ein abgerissener Fremder an die Tür klopfen kommt, ist er nie etwas
anderes als ein Gestrandeter, ein Alkoholiker, eine verlorene Seele. Doch wie
sehnen wir uns im Innersten danach, daß, wie in der Geschichte, diese unsere
stillen Stuben erbeben vor Engelsgesang!
    Dieses Haus ist es leid,
auf den Tag zu warten, ist es leid, sich zusammenzuhalten. Die Dielen federn
nicht mehr. Die Isolierung der elektrischen Leitungen ist brüchig, bröckelig,
die Rohre sind verstopft von Sand. Die Dachrinnen hängen durch, wo Schrauben
weggerostet sind oder sich aus dem morschen Holz gelöst haben. Die Dachziegel
sind moosbepackt. Ein solide, aber lieblos gebautes Haus, kalt jetzt und träge,
bereit zu sterben; dessen Wände die Sonne, selbst die afrikanische Sonne, nie
zu erwärmen vermochte, so als würden sogar die Backsteine, gemacht von
Sträflingshänden, eine starrsinnige Verdrossenheit ausstrahlen.
    Letzten
Sommer, als die Arbeiter die Abwasserrohre neu verlegten, sah ich zu, als sie
die alten Rohre ausgruben. Zwei Meter tief gingen sie in die Erde, holten
vermodernde Ziegel heraus, rostiges
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