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Coetzee, J. M.

Coetzee, J. M.

Titel: Coetzee, J. M.
Autoren: Eiserne Zeit
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braucht neue Schuhe. Er
braucht ein Bad. Er braucht jeden Tag ein Bad; er braucht saubere Unterwäsche;
er braucht ein Bett, er braucht ein Dach über dem Kopf, er braucht drei
Mahlzeiten am Tag, er braucht Geld auf der Bank. Zuviel zu geben: zuviel für
jemanden, der, um die Wahrheit zu sagen, sich danach sehnt, in den Schoß der
eigenen Mutter zu kriechen und getröstet zu werden.
    In dem
Bemühen, das Vorgefallene zu vergessen, führte ich ihn im Garten herum und wies
auf Arbeiten hin, die getan werden müssen. »Die Bäume beschneiden zum
Beispiel«, sagte ich. »Wissen Sie, wie man das macht?«
    Er
schüttelte den Kopf. Nein, wie man Bäume beschneidet, wußte er nicht. Oder
wollte er nicht wissen.
    In der untersten Ecke waren
die alte Eichenbank und der Kaninchenstall von dichten Schlingpflanzen völlig
überwuchert. »Das müßte alles weggeräumt werden«, sagte ich.
    Er hob die
Matte der Schlingpflanzen an einem Rand an. Auf dem Boden des Stalles lag ein
Häufchen verblichener Knochen, darunter das vollkommene Skelett eines jungen
Kaninchens mit in letzter Verrenkung zurückgebogenem Hals.
    »Kaninchen«,
sagte ich. »Sie haben dem Sohn meiner Hausangestellten gehört. Ich ließ ihn sie
hier als Haustiere halten. Dann gab es irgendeinen Umbruch in seinem Leben. Er
vergaß sie, und sie verhungerten. Ich lag im Krankenhaus und wußte nichts
davon. Ich war furchtbar aufgebracht, als ich zurückkam und herausfand, zu
welchen Todesqualen es hier unten im Garten gekommen war. Geschöpfe, die nicht
sprechen können, die nicht einmal schreien können.«
    Guaven fielen, wimmelnd von
Würmern, und bildeten einen übelriechenden, breiigen Teppich unter dem Baum.
»Ich wünschte, die Bäume würden aufhören zu tragen«, sagte ich. »Aber das tun
sie nie.«
    Der Hund, der nachkam,
schnupperte flüchtig an dem Stall. Die Toten lange tot, ihre Gerüche verweht.
    »Wie dem auch sei, tun Sie,
was Sie können, um das hier wieder unter Kontrolle zu bringen«, sagte ich.
»Damit es nicht völlig verwildert.«
    »Warum?« sagte er.
    »Weil ich nun mal so bin«,
sagte ich. »Weil ich keine Unordnung hinterlassen will.«
    Er zuckte
mit den Achseln und lächelte für sich.
    »Wenn Sie
bezahlt werden wollen, werden Sie’s verdienen müssen. Für nichts kriegen Sie
kein Geld von mir.«
    Den Rest
des Nachmittags arbeitete er, hackte herum an dem Gewucher aus Schlingpflanzen
und Gras, hin und wieder innehaltend, um in die Ferne zu starren, wobei er so
tat, als wüßte er nicht, daß ich von oben aus dem Haus ein Auge auf ihn hatte.
Um fünf Uhr bezahlte ich ihn. »Ich weiß, Sie sind kein Gärtner«, sagte ich,
»und ich will Sie auch nicht zu etwas machen, was Sie nicht sind. Aber auf rein
karitativer Basis können wir nicht weitermachen.«
    Die Scheine nehmend, sie
faltend, in die Tasche steckend und zu einer Seite wegblickend, um mich nicht
anzusehen, sagte er leise: »Warum?«
    »Weil Sie’s
nicht verdienen.«
    Und er,
lächelnd, sein Lächeln für sich behaltend: »Verdienen… wer verdient schon was?«
    Wer
verdient schon was? In plötzlichem Zorn stieß ich ihm die Geldbörse hin. »An
was glauben Sie denn? Ans Nehmen? Einfach sich nehmen, was man will? Na
los: Nehmen Sie!«
    Ruhig nahm
er die Geldbörse, entnahm ihr, was sie enthielt, dreißig Rand und ein paar
Münzen, und reichte sie zurück. Dann ging er weg, der Hund ihm übermütig an den
Fersen. Nach einer halben Stunde war er zurück; ich hörte das Klirren von
Flaschen.
    Irgendwo hat er sich eine
Matratze besorgt, eine von diesen faltbaren Matratzen, die die Leute mit an den
Strand nehmen. In seinem kleinen Nest mitten im Staub und Gerumpel des
Holzschuppens, mit einer Kerze am Kopf und dem Hund an den Füßen, lag er und
rauchte.
    »Ich will
dieses Geld zurück«, sagte ich.
    Er griff in
die Tasche und hielt mir ein paar Scheine hin. Ich nahm sie. Es war nicht das
ganze Geld, aber das machte nichts.
    »Wenn Sie
was brauchen, können Sie zu mir kommen«, sagte ich. »Ich bin kein Geizkragen.
Und seien Sie vorsichtig mit der Kerze da. Ich will kein Feuer.«
    Ich drehte
mich um und ging. War aber gleich wieder zurück.
    »Sie haben
mir geraten«, sagte ich, »aus dem Haus hier eine Studentenpension zu machen.
Nun, ich könnte noch etwas Besseres daraus machen. Ich könnte einen Hafen für
Bettler daraus machen. Ich könnte eine Suppenküche betreiben und ein
Übernachtungsheim. Aber das tu ich nicht. Warum nicht? Weil der Geist der
Nächstenliebe gestorben ist in
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