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Club Kalaschnikow

Club Kalaschnikow

Titel: Club Kalaschnikow
Autoren: Polina Daschkowa
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des Moskauer Fernsehens. Er hatte Katja vorhin seine Videokamera direkt unter die Nase gehalten, um eine möglichst häßliche Perspektive zu bekommen.
    Was will der mit klassischem Ballett, der fotografiert doch sonst nur Rockstars, dachte Katja und blickte dem zitronenfarbenen Jackett hinterher.
    Eine halbe Stunde später war es ihr gelungen, Gleb ins Auto zu bugsieren. Weitere zwanzig Minuten später fuhr ihr weißer Ford vor ihrem Haus vor.
    Mit ein paar Blumensträußen vom Rücksitz im Arm gingen sie auf den Hauseingang zu. Gleb schlingerte und schwankte und sang die ganze Zeit den dummen Schlager. Plötzlich stolperte er und fiel mit seiner ganzen betrunkenen Schwere auf seine Frau. Katja konnte ihn gerade noch auffangen und sich selber auf den Beinen halten. Die Sträuße mit den großen, in Zellophan gehüllten Rosen fielen raschelnd auf den Asphalt. Im selben Moment ertönte ein gedämpfter Schuß. Oben im dritten Stock, in einem dunklen, sperrangelweit geöffneten Fenster, bauschte sich sanft ein heller Vorhang.
    ***
    Konstantin Iwanowitsch Kalaschnikow, russischer Volkskünstler, Träger des Leninpreises für herausragende Verdienste um die sowjetische Filmkunst, Oscar-Preisträger für die beste männliche Hauptrolle des Jahres 1989 in dem weltweit beachteten Film »Die Hinterhöfe des Imperiums«, Abgeordneter der Staatsduma und Professor, saß in einem Café auf der Place Saint-Michel und schlürfte in kleinen Schlucken einen Milchkaffee.
    Vor langer Zeit, im Jahr 1964, hatte der magere, schmalgesichtige Konstantin Kalaschnikow in einem Film überden Bürgerkrieg einen weißen Offizier gespielt, war hoch zu Roß durch die Steppe gesprengt und einen malerischen Tod durch den Hieb eines Rotarmistensäbels gestorben. Abends nach den Dreharbeiten verschlang er im schäbigen Hotel des kleinen Steppenkaffs die Bücher von Hemingway. In der wilden kasachischen Steppe tat es gut, von Paris zu lesen. Paris bestand aus fliederfarbenem Dunst und zahllosen kleinen Cafés. Im Hotel bekam man Frikadellen aus Brotteig und trockenen gelben Hirsebrei zu essen. Kalaschnikow las Hemingway, wanderte in Gedanken durch Paris und hob sein junges edles Gesicht dem zarten Nebel des Montmartre entgegen.
    Im Nebenzimmer sang hinter der dünnen Hotelwand die Schauspielerin Nadja Lutschnikowa ein Lied des verbotenen jungen Liedermachers Alexander Galitsch: »Die Wolken fliegen nach Abakan …« Nadja spielte eine rote Partisanin. Im Film wurde sie von Konstantin verhört und belästigt und verpaßte ihm eine schallende Partisanenohrfeige. Dann wurde sie erschossen, der Weißgardist Konstantin kommandierte »Feuer«, während sich auf seinem Gesicht widersprüchliche Gefühle malten: eine Mischung aus Klassenhaß und heimlicher, hoffnungsloser Verliebtheit.
    Tief in der Nacht siedelte Konstantin in Nadjas Zimmer über. Ihre Zimmergenossin, die Regieassistentin Galotschka, zog zum Kameramann Slawa, und Slawas Zimmergenosse, der junge Beleuchter Wolodja, übernachtete bei der alleinstehenden Bibliothekarin des Steppenkaffs. Die Sprungfedern der Hotelbetten quietschten unanständig, aber niemand hörte es.
    Nadja hatte einen kleinen Flakon »Chanel Nr. 5«. Noch viele Jahre danach erinnerte der schwere süße Duft dieses Parfums Konstantin nicht an Paris, sondern an die kasachische Steppe und an das schmutzige Hotel mit den quietschenden Betten.
    Ein halbes Jahr später ließen er und Nadja sich in aller Stille trauen. Sie war im sechsten Monat, ihr Bauch wölbte sich schon merklich, und die Angestellte im Standesamt blickte sie mißbilligend an.
    Den Sohn nannten sie Gleb.
    Die berühmte Fotografie von Hemingway – männliches Gesicht, Bart, grober Rollkragenpullover – hing in ihrer Moskauer Wohnung über dem Sofa. Auf dem Sofa lag ein kariertes Plaid. Sofa, Plaid und diese Fotografie – mehr besaßen sie nicht.
    Ein Jahr darauf wurde Kalaschnikow die Rolle des Felix Dzierżyński angeboten. Dann beauftragte man ihn damit, das Begrüßungsgedicht auf dem Parteitag vorzutragen. Noch ein Jahr später erhielt er den Titel »Verdienter Künstler«, arbeitete an einem der besten Theater Moskaus und drehte einen Film nach dem anderen.
    Die Wohnung füllte sich mit Möbeln, und auch Kalaschnikow ging in die Breite. Nadja hörte auf zu filmen, kochte kalorienarme Diätsuppen, raspelte Möhren und zog Gleb auf.
    Ende der siebziger Jahre durfte Kalaschnikow nach Paris. Er sollte Lenin spielen. Zwar hatte er keinerlei Ähnlichkeit mit dem
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