Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Club Kalaschnikow

Club Kalaschnikow

Titel: Club Kalaschnikow
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
Führer aller Proletarier, aber für den Regisseur – Parteimitglied und der Tradition des sozialistischen Realismus verpflichtet – hatte das keine Bedeutung. In Kalaschnikows Interpretation geriet Lenin zu einem hochgewachsenen eleganten Intellektuellen.
    Paris bestand tatsächlich aus aquarellfarbenem Dunst und kleinen Cafés. Konstantin schritt durch die Gassen, von denen er bei seiner Hemingway-Lektüre geträumt hatte, und fühlte sich, als sei er wieder achtzehn. Die Zeit drehte sich rückwärts, es roch nach Ewigkeit. Er saß im Café auf der Place Saint-Michel und blickte in die riesigen, blauverschleierten Augen von Schurotschka Lwowaja. Schurotschka war die letzte Nachfahrin eines alten Adelsgeschlechts,viele hielten sie für die schönste und eleganteste Schauspielerin Rußlands. In dem Film über Lenin spielte sie Inessa Armand.
    Nach Hause zurückgekehrt, ließ Konstantin sich von Nadja scheiden und heiratete Schurotschka. Genau ein Jahr lang blickten die blauverschleierten Augen der Fürstin nur ihn an. Doch im folgenden Frühling bekam Konstantin eine Gastritis. Die Fürstin konnte außer Würstchen nichts kochen. Zur Gastritis gesellte sich eine nervöse Erschöpfung. Konstantin entdeckte plötzlich, daß das Leben aus einer Million widerwärtiger alltäglicher Kleinigkeiten bestand, die ihm wie Schwärme von Taigamücken das heiße Blut aussaugten und sich in seine zarte Künstlerseele verbissen.
    Wenn er morgens ins Theater zur Probe wollte oder vor einer Tournee seinen Koffer packte, konnte er keine einzige saubere Socke finden, an den Hemden fehlten die Knöpfe, Pullover und Hosen waren, vermengt mit den Büstenhaltern und Strumpfhosen der Fürstin, unordentlich in die Fächer des Wandschranks gestopft.
    Konstantin begann sich nach Nadjas geraspelten Möhren und Diätsuppen zu sehnen. Die Fürstin ihrerseits vermißte ihren vorherigen Mann, den Chefredakteur einer großen Parteizeitung. Sie war nicht weniger talentiert und berühmt als Konstantin, die Mißlichkeiten des Alltags verletzten ihre zarte Seele ebenfalls. Und der Chefredakteur war zwar ein langweiliger Funktionär, aber dafür erlaubten ihm seine gesellschaftliche Stellung und seine Einkünfte, eine Hausangestellte zu beschäftigen.
    Kalaschnikow kehrte gerade rechtzeitig zu seiner geduldigen Nadja zurück. Die Gastritis war noch nicht chronisch geworden, die nervöse Erschöpfung noch nicht in eine schwere Depression übergegangen. Bald sah er wieder jünger und schlanker aus, und seine Hemden strahlten vor Sauberkeit. Die gleichaltrige Nadja wirkte neben ihm wieeine ältere Tante neben ihrem verwöhnten und vergötterten Neffen.
    Kalaschnikow hatte Dzierżyński, Lenin, Frunse und sogar den jungen Breshnew spielen müssen. Er war jedoch keineswegs ein Kriecher und Speichellecker. Mit der Verkörperung der Parteiheroen verdiente er sich das Recht, mit nonkonformistischen Regisseuren zu drehen, auf der Bühne politisch anzügliche Witze zu machen, Bücher zu lesen, die von der sowjetischen Zensur verboten waren, und durch die Welt zu reisen. Zu seinen Fans gehörten viele hohe ZK-Funktionäre und deren Frauen, Schwiegermütter und Schwäger.
    Manchmal gelang es ihm, seinen weniger erfolgreichen Kollegen zu helfen und durchzusetzen, daß ein, wie es hieß, »ideologisch unkorrekter« Film in die Kinos kam, zumindest in einige kleinere Provinzkinos, und nicht im Regal verstaubte. Im übrigen wußte er stets, wie weit er bei seiner edlen Fürsprecherrolle gehen durfte. Sobald er spürte, daß es nicht angebracht und gefährlich war, »eine Lippe zu riskieren«, zog er es vor zu schweigen. Man lud ihn zu Regierungsbanketten ein, er vertrat die sowjetische Kultur im Ausland und war Dauergast auf diplomatischen Empfängen.
    Sein Sohn Gleb aber lebte das ausgelassene und schwierige Leben eines Heranwachsenden, veranstaltete Partys mit Kartenspiel und hübschen Mädchen, war ein nimmermüder Witzeerzähler, kannte jede Automarke und konnte mit geschlossenen Augen eine amerikanische Markenjeans von einem polnischen Imitat unterscheiden.
    In der Schule war er schlecht, doch seine Faulheit und seine Streiche waren vergessen und vergeben, sobald Kalaschnikow in der Schule erschien, den Lehrerinnen charmant zulächelte und dem Direktor die Hand drückte. Im Schatten der väterlichen Popularität war Gleb vor allen Unannehmlichkeiten geschützt, und der Volkskünstler machte sich um den Jungen keine Sorgen.
    Nadja raspelte immer noch Möhren für
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher