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Club Kalaschnikow

Club Kalaschnikow

Titel: Club Kalaschnikow
Autoren: Polina Daschkowa
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Wahrheiten wiederholen: Man kann nicht aus Mitleid bei einem Menschen bleiben, Liebe läßt sich nicht zwingen und so weiter. Er war schließlich Künstler, durch und durch. Er konnte nicht atmen ohne frische Leidenschaften, ohne starke Gefühle, ohne Margaritas junges, strahlendes Gesicht. Er konnte es nicht – und basta. Er sehnte sich ununterbrochen nach ihr, sogar Paris kam ihm ohne sie leer und fade vor. Heute früh um halb drei würde ihr Flieger landen. Sie hatte ein paar Tage freigenommen, um ihn zu besuchen, einfach so, weil sie ihn vermißte. Jetzt war schon Mitternacht, er würde noch eine halbe Stunde im Café sitzen und dann den Boulevard Saint-Germain hinuntergehen, bis zu der Stelle, wo er seinen Mietwagen, einen kleinen silberfarbenen Renault, geparkt hatte, um von dort zum Flughafen zu fahren und seine Prinzessin abzuholen.
     
    Der Wirt an der Theke rieb sorgfältig die Gläser ab. Die Wand hinter ihm war mit Geldscheinen aus verschiedenen Ländern beklebt. Den alten sowjetischen Zehnrubelschein mit dem Leninprofil hatte Kalaschnikow ihm 1979 geschenkt. Bei jedem Besuch schenkte er dem Wirt dieses Cafés einen Geldscheinzum Andenken. In Rußland wechselte das Geld ständig. Der Wirt nahm den Schein, nickte ohne die Andeutung eines Lächelns und sagte: »Merci, Monsieur.« Aber nie erinnerte er sich an ihn, nie erkannte er ihn wieder.
    Die Pariser interessieren sich überhaupt nur für sich selbst. Es gibt keine hochmütigere Stadt auf der Welt. So oft hatte sein Theater schon hier gastiert, so viele seiner Filme waren im französischen Fernsehen gelaufen, und trotzdem erkannten sie ihn nicht. Sie sahen ihn und sahen ihn doch nicht.
    Kalaschnikow beklagte sich gern über die Bürde seines weltweiten Ruhms. Ob er in New York, in Quebec oder in Rom war, immer drehte sich jemand nach ihm um, lächelte, nannte seinen Namen oder den Namen einer Filmfigur. Durch Moskau konnte er überhaupt nicht mehr zu Fuß gehen, die Verkäuferinnen in den Geschäften erstarben schon seit zwanzig Jahren vor Ehrfurcht und glotzten ihn mit offenem Mund an, die Verkehrspolizisten verpaßten ihm keine Strafzettel, sondern baten um ein Autogramm.
    »S’il vous plaît, Monsieur?« Der Wirt hob seinen Blick von den Gläsern und schaute ihn fragend und ernst an. »Encore café?«
    Kalaschnikow zuckte zusammen. Offensichtlich hatte er stumpf in dieses schmallippige französische Gesicht gestarrt, ohne es zu sehen, und dabei seinen Gedanken nachgehangen. Die Kaffeetasse war schon lange leer.
    »Oui, Monsieur, café au lait«, erwiderte er mechanisch, starrte weiter unverwandt in die glänzenden schwarzen Augen des Wirts und fügte dann in fließendem Französisch hinzu: »Erkennen Sie mich nicht? Ich bin schon viele Male bei Ihnen gewesen. Ich bin ein sehr bekannter russischer Schauspieler.«
    »Nein, Monsieur, ich kenne Sie nicht. Möchten Sie den Kaffee mit Zucker?«
    Was ist nur in mich gefahren? wunderte sich Kalaschnikow. Wie dumm von mir.
    In der Tasche seines Jacketts trillerte das Handy. Er erkannte sofort die Stimme seiner Schwiegertochter Katja, wunderte sich und schielte auf seine Armbanduhr. Hier war es Mitternacht, in Moskau also zwei Uhr morgens.
    »Konstantin Iwanowitsch, Gleb ist ermordet worden.«
    »Was sagst du da?«
    »Er ist vor anderthalb Stunden erschossen worden, vor unserem Hauseingang. Bitte komm sofort nach Moskau.«
    ***
    Olga Guskowa konnte die Metro nicht ausstehen. Selbst wenn man nicht zu den papagaienbunten Mosaiken und Deckenmalereien, zu den Segelfliegern, Kolchosbauern und Pionieren hinaufschaute, spürte man die Anwesenheit dieser Spukbilder eines trivialen Optimismus. Riesige Kristallleuchter hingen über den Bahnsteigen und schwankten, als wollten sie den Leuten jeden Moment auf den Kopf fallen. Aus der Tiefe der Vorhölle, aus dem schwarzen Tunnel trug der Wind den Geruch nach versengtem Gummi herbei, flackerten Feuer auf.
    »Vorsicht, die Türen schließen sich …«
    Im Zug roch es aufdringlich nach Parfum. Olga verzog das Gesicht und setzte sich in eine entfernte Ecke. Die Gerüche, Geräusche und Blicke peinigten sie so heftig, als wäre ihr die Haut abgezogen und jeder Nerv bloßgelegt. Sie holte ein dünnes Gebetbuch aus ihrem Rucksack, öffnete es aufs Geratewohl und begann mit tief gesenktem Kopf zu lesen.
    »… und lösche die Flamme meiner Leidenschaften, denn ich bin niedrig und verflucht. Und erlöse mich von den vielen und grausamen Erinnerungen …« Ihre Lippen zitterten
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