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Clarissa

Clarissa

Titel: Clarissa
Autoren: Jude Deveraux
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Sie würde diese Krise überwinden, und eines Tages, irgendwie, würde sie sich an Pagnell und seinesgleichen rächen.
    Beim ersten Licht der Dämmerung stiegen sie wieder auf das Pferd und ritten langsam immer tiefer in das Labyrinth des Waldes hinein.

Kapitel 3
    Nachdem sie lange Zeit auf Zehenspitzen durch zähes Gestrüpp und Unterholz geschlichen waren, einer Route folgend, die durch keinen Pfad gekennzeichnet war, begann Clarissa Stimmen zu vernehmen. »Ich höre die Männer sich unterhalten«, wisperte sie.
    Der Diener warf ihr einen ungläubigen Blick über die Schulter zu, denn er hörte nichts außer dem Wind. Es dauerte ziemlich lange, ehe er ebenfalls die Stimmen vernahm.
    Plötzlich, überraschend, war das zähe Gestrüpp zu Ende, und vor ihnen lag ein kleines Dorf aus Zelten und rohgezimmerten Behausungen. Ein grauhaariger Mann mit einer tiefen alten Narbe, die von seiner Schläfe über die Wange bis zum Hals verlief, wo sie unter dem Kragen verschwand, fiel ihnen in die Zügel.
    »Du bist niemand unterwegs begegnet, Bruder? « fragte der Mann mit der Narbe, und als sein Bruder den Kopf schüttelte, faßte der narbengesichtige Clarissa ins Auge. »Ist das der Bursche? «
    Sie hielt den Atem an während dieser Musterung, weil sie fürchtete, er würde ihr wahres Geschlecht erkennen; doch er wandte schließlich die Augen ab, als wäre sie nicht von Bedeu tung.
    »Raine erwartet dich«, sagte der Mann mit der Narbe zu seinem Bruder. »Liefere den Jungen bei ihm ab, und ich werde ein Stück mit dir reiten, damit du mir die Neuigkeiten erzählen kannst. «
    Mit einem Nicken lenkte der Diener sein Pferd in die Richtung, in die sein Bruder deutete.
    »Er kam nicht auf den Gedanken, daß ich kein Junge wäre«, flüsterte Clarissa teils erfreut, teils beleidigt. »Und wer ist Raine? «
    »Er ist der Anführer dieser buntgescheckten Truppe. Er ist erst seit ein paar Wochen bei ihnen; doch in dieser Zeit ist es ihm gelungen, den Männern etwas Disziplin beizubringen. Wenn du beabsichtigst, hier zu bleiben, mußt du ihm jederzeit gehorchen, weil er dir sonst die Ohren langziehen würde. «
    »Der König der Entrechteten«, sagte sie etwas verträumt. »Er muß der Schrecken in Person sein. Er ist doch nicht ein… ein Mörder, oder doch? « keuchte sie.
    Der Diener sah auf sie zurück und lachte über ihren mädchenhaften Launenwechsel; doch als er ihr Gesicht erblickte, verging ihm das Lachen, und er sah in die Richtung, in die sie wie hypnotisiert gaffte.
    Auf einem niedrigen Schemel, ohne Hemd, saß der Mann, der zweifellos der Anführer jener Truppe von Männern sein mußte, die sich in seiner Nähe versammelten. Es war ein stattlicher Mann, sehr groß, mit gewaltigen Muskelpaketen, einer breiten, dicken Brust und Schenkeln, die den Stoff der schwarzen gestrickten Hose fast sprengten. Er wetzte sein Schwert, und daß er im Januar im kalten, sonnenlosen Wald kein Hemd trug, war an sich schon erstaunlich; doch selbst auf diese Entfernung konnte Clarissa sehen, daß er mit einem dünnen Schweißfilm bedeckt war.
    Sein Profil war hübsch: eine feine Nase, tiefschwarze Haare, schweißnasse Locken im Nacken, tiefliegende ernste Augen unter üppigen schwarzen Brauen, ein Mund, der eine feste Linie bildete, während er sich auf den Wetzstein konzentrierte, mit dem er das Schwert schärfte.
    Clarissas erster Eindruck war, daß ihr das Herz stillstehen könnte. So einen Mann hatte sie bisher noch nie gesehen, von dem eine Macht ausstrahlte, so greifbar wie der Schweiß, der auf seinem Körper glitzerte. Die Leute sagten oft, sie übe Macht mit ihrer Stimme aus, und sie fragte sich nun, ob sie mit der Gewalt dieses Mannes vergleichbar war, mit dieser Aura, die diesen ganzen riesigen wundervollen Körper umgab.
    »Mach den Mund zu, Mädchen«, lachte der Diener, »oder du wirst dich sogleich verraten. Seine Lordschaft wird sich nicht mit einem Burschen anfreunden, der ihm die Knie vollsabbert. «
    »Lordschaft? « fragte Clarissa, nach Luft schnappend. »Lordschaft! « fauchte sie, und die Vernunft erwachte wieder in ihr. Das war nicht Macht, die sie von diesem Mann ausgehen sah — es war seine Überzeugung, daß die ganze Welt ihm allein gehörte. Generationen von Männern wie Pagnell hatten sich selbst reproduziert, um ein Wesen zu erschaffen, wie sie es vor sich sah — arrogant, stolz, im festen Glauben, daß jeder dazu bestimmt war, seine persönlichen Wünsche zu befriedigen, sich nehmen zu dürfen, was er wollte,
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