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Clarissa

Clarissa

Titel: Clarissa
Autoren: Jude Deveraux
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selbst das Leben eines alten kranken Advokaten, der ihm im Weg stand. Clarissa befand sich in diesem kalten Forst und nicht in ihrem Haus, wo sie hingehörte und ihrer Musik nachgehen konnte, nur, weil es Männer gab wie diesen dort, der auf seinem Schemel saß und wartete, daß andere zu ihm kamen.
    Der Mann drehte sich um und sah sie mit seinen blauen Augen an — mit ernsten Augen, denen wenig von dem entging, was sie betrachteten. Als wäre er ein König auf einem Thron, dachte Clarissa, und tatsächlich machte er den rohgezimmerten Hocker zu einer Art Thronsessel, dem sich seine Untergebenen zu nähern hatten. Deswegen also mußte sie sich als Junge verkleiden! Dieser Mann mit seinem herrscherlichen, anmaßenden Gehabe verlangte, daß jeder vor ihm dienerte und einen Kratzfuß machte, sich so tief verneigte, daß er seine mit Juwelen besetzten Schuhe auf ihre Kehrseite setzen konnte. Er war der Anführer dieser Truppe von Geächteten und Mördern, und wie war er zu dieser dubiosen Ehre gekommen? Zweifellos dadurch, weil sie alle an die natürliche Überlegenheit der Adeligen glaubten und meinten, dieser Mann habe kraft seiner Geburt das Recht, sie zu befehligen, und sie, so dumm, wie sie als Kriminelle sein mußten, zweifelten gar nicht an seiner Autorität, sondern fragten lediglich danach, wie tief sie sich vor seiner Lordschaft verneigen sollten.
    »Das ist Raine Montgomery«, sagte der Diener und merkte gar nicht, wie Clarissas Augen hart wurden, was ihre ursprüngliche Weichheit stark veränderte… »Der König hat ihn zum Verräter erklärt. «
    »Und fraglos trägt er diesen Titel zu Recht«, spuckte sie, während sie Raine nicht aus den Augen ließ, der nun näher kam, während seine Kraft sie näher an sich heranzuziehen schien.
    Der Diener sah sie verblüfft an. »Einst war er der Liebling von König Heinrich und führte die Soldaten des Herrschers nach Wales, das ihm selbst gehört, als Lord Raine erfuhr, daß Lord Roger Chatworth seine Schwester gefangengenommen hatte… «
    »Eine Fehde unter Edelleuten! « fauchte sie. »Und zweifellos mußten viele unschuldige Männer ihr Leben lassen, um den Blutdurst dieser Hochgeborenen zu stillen. «
    »Nicht einer verlor sein Leben«, sagte der Mann, verwirrt durch ihre Einstellung. »Lord Roger drohte damit, Lord Raines Schwester zu töten, also zog sich Lord Raine wieder zurück; doch König Heinrich erklärte ihn zum Verräter, weil er die Soldaten des Königs für seinen eigenen Feldzug verwendete. «
    »Lords! « schnaubte Clarissa. »Es gibt nur einen Lord, und König Heinrich erklärte zu Recht diesen Mann zum Verräter, weil kein anderer Titel zu einem Mann paßt, der die Männer unseres guten Königs für seine Privatfehde verwendet. Also versteckt er sich nun in dem Wald und macht Schurken zu seinen Untergebenen. Sagt mir — tötet er sie, wenn ihm danach gelüstet, oder gibt er sich damit zufrieden, daß sie ihm das Essen auf silbernen Platten servieren? «
    Darüber lachte der Diener, weil er endlich begriff, warum sie so schlecht auf Lord Raine zu sprechen war. Zweifelsohne hatte sie bisher nur zwei Edelleute kennengelemt — Pagnell und seinen Vater. Wenn sie diese beiden zum Maßstab nahm, hatte sie allen Grund, Lord Raine zu verabscheuen.
    »Kommt, setzt euch«, sagte Raine, während er den Zügel packte und zu dem müden Mann auf dem Pferd hinaufsah.
    Clarissas erster Gedanke war: Er kann singen. Jeder Mann mit so einer tiefen, vollen Stimme besaß die Eigenschaft dazu. Doch im nächsten Augenblick waren ihre freundlichen Gedanken verflogen.
    »Komm her, Junge, und laß dich ansehen«, sagte Raine. »Du schaust mir ein bißchen mager aus. Kannst du die Arbeit eines Tages schaffen? «
    Clarissa hatte noch nie mit gegrätschten Beinen auf einem Pferd gesessen, und von dieser neuartigen Übung waren die Innenseiten ihrer Beine steif und wund geworden. Als sie versuchte, sich wenigstens mit einigem Geschick von dem Rücken des Pferdes zu schwingen, versagten ihr die verflixten Beine den Dienst, und das linke, das noch von dem Sprung aus dem Fenster schmerzte, knickte unter ihr ein.
    Raine legte eine Hand auf ihren Oberarm, um sie zu stützen, und zu Clarissas Bedauern reagierte ihr Körper sofort auf diesen Mann, der alles repräsentierte, was sie haßte. »Nehmt Eure Hand fort! « fauchte sie ihn an und sah die Verwunderung auf seinem hübschen Gesicht, ehe sie sich an dem Sattel des Pferdes festhalten mußte, damit sie nicht zu Boden
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