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Chroniken der Jägerin 3

Chroniken der Jägerin 3

Titel: Chroniken der Jägerin 3
Autoren: M Liu
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formulieren.
    »Was ist los?«, brachte ich endlich heraus. »Was ist passiert?«
    Niemand sprach. Keiner sah mich an. Rohw und Aaz drückten sich fester an meinen Körper, als versuchten sie, sich in meinen Bauch zu graben. Zee blieb, wo er war, seine Klauen so fest in den Boden verkrallt, dass das Holz splitterte. Ich riss mich zusammen, versuchte, sitzen zu bleiben, und sah an mir hinab.
    Blut. Überall war Blut. Allmählich trocknendes Blut, das an einigen Stellen aber noch feucht schimmerte.
    Ich brauchte einen Augenblick, um zu verstehen, was ich da sah. Es war lange her, dass ich so viel Blut gesehen hatte. Matt und so rostrot wie Gift bedeckte es den gesamten Fußboden bis hin zur Küche. Ich registrierte wie beiläufig, dass meine Hände förmlich damit überzogen waren. Die linke Hand war vollkommen rot, wie auch die rechte, von der Rüstung abgesehen. Die sich deutlich von dem Blut abhob … Magie, ein Schlüssel, einer, der in deinem Körper wachsen wird, bis du stirbst; aber es kam mir ebenso irreal vor wie all das Blut oder der Boden unter mir oder die Luft in meiner Lunge.

    Meine rechte Hand ballte sich zur Faust. Jetzt konnte ich das Blut riechen, es war, als würde ich sehen, wie es seinen Geruch freisetzte: Metallisch und warm strömte er durch meine Nase und meine Kehle, bis ich dachte, ich müsse gleich würgen.
    Was ich auch tat, als ich über die Schulter blickte und sah, wer hinter mir lag.
    »Jack!« Ich schob die Dämonen zur Seite und krabbelte auf Händen und Knien zu dem alten Mann hinüber. Ich rutschte im Blut herum. In seinem Blut. So viel Blut, klebrig und dick, und es umringte ihn wie ein schreckliches, rotes Meer.
    Er lag da, das Gesicht von mir abgewendet. Er trug einen hellgrauen Pullover und eine dunkle Hose. Sein weißes Haar, wild und doch sehr gepflegt. Sehr ordentlich. Und so exzentrisch. Mein Großvater war…
    Ich berührte ihn und wusste es.
    Ich wusste es. Ich starrte ihn an und konnte kaum atmen. Wie aus weiter Ferne sah ich zu, wie meine Finger seine Arme und seine Schultern umschlossen und ihn vorsichtig umdrehten. Er war noch warm, außerdem war er schwer. Ich aber war schwach und hatte irrsinnige Angst.
    Dann war es geschafft. Er lag auf dem Rücken, und ich starrte ihn regungslos an. Ein Schlag traf mein Herz so heftig, dass alles aufzuhören schien: mein Puls, mein Blut, mein Leben.
    Man hatte ihm die Kehle einmal der Länge nach durchgeschnitten, von einem Ohr zum anderen. Das Fleisch seines Halses klaffte auf wie ein hässliches Lachen.
    Jack Meddle. Mein Großvater.
    Und das Messer, das neben ihm in seinem Blut lag, gehörte mir.

2
    I ch schrie nicht, aber auch nur, weil ich meine zitternde Hand vor den Mund schlug. Vielleicht habe ich doch ein bisschen geschrien, ich weiß es nicht.
    Ich wurde vollkommen kraftlos. War blind, hatte nur Augen für Jack. Was ich sah, ergab doch keinen Sinn. Sein Körper wirkte beinahe obszön, eine wächserne Hülle aus Lehm und Zaubersprüchen, die nur von Fingernägeln und Haaren zusammengehalten wurde. Der Anblick flößte mir Furcht ein.
    Es spielte keine Rolle, dass Jack nicht wirklich sterben konnte, jedenfalls nicht auf Dauer. Die technischen Einzelheiten interessierten mich nicht. Mein Großvater war ermordet worden. Ich hockte in seinem Blut, dem Blut, das aus dem Körper strömte, der meine Großmutter geliebt und meine Mutter gezeugt hatte, und damit in gewisser Weise auch mich.
    Es fühlte sich an, als hätte ich ihn tatsächlich verloren.
    Und ich konnte mich absolut nicht daran erinnern, wie es dazu hatte kommen können.
    Ich konnte mich nicht bewegen. Meine Knie waren warm und feucht. Ich schmeckte den Geruch des Todes in meinem Mund – nicht nur das Blut, auch Urin und Kot. All diese kleinen Demütigungen. Meine Mutter hatte genauso gerochen, nachdem sie ermordet worden war.

    »Zee«, krächzte ich und hielt nach dem kleinen Dämon Ausschau, der ganz in der Nähe hockte. Seine stachligen Haare hingen herunter, dabei hatte er die Augen fast geschlossen, so als litte er Schmerzen.
    Mehr konnte ich nicht sagen. Ich beobachtete, wie er mit Aaz und Rohw einen vielsagenden Blick wechselte. Währenddessen begannen die Zwillingsstimmen in meinem Haar die Melodie von Highway to Hell zu summen.
    Ich musste mich gleich übergeben. Es gelang mir noch zurückzukriechen, und dabei hinterließ ich eine Blutspur. Ich hörte auf zu atmen und hielt mir den Mund zu. Mit meinem Rücken stieß ich gegen das Sofa. Aber auf Distanz
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