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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
Autoren: Anne Rice
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Geschichte, weißt nicht, was sie für ein menschliches Wesen wie mich bedeutet.« Ein Seufzer erstickte seine Worte, und seine Finger umklammerten den Arm des Vampirs.
    »O Gott!« rief der Vampir aus. Er wandte dem anderen den Rücken zu und starrte wieder durch das graue Fenster.
    »Ich bitte dich…«, sagte der Jüngling, »versuche es noch einmal. Versuche es noch einmal - mit mir!«
    Der Vampir kehrte sich um und sah ihn an. Sein verzerrtes Gesicht glättete sich, er lächelte schwach. »Ich habe versagt«, seufzte er, »völlig versagt…«
    »Nein!« protestierte der Jüngling.
    »Sag nichts weiter!« gebot der Vampir. »Ich habe nur noch eine Möglichkeit. Siehst du die Spulen? Sie drehen sich noch immer. Ich habe nur eine Möglichkeit, dir die Bedeutung dessen, was ich gesagt habe, zu zeigen.« Und er griff nach dem Jüngling und zog ihn an sich und hielt ihn fest, den Mund über dem gebeugten Nacken. »Siehst du?« flüsterte er; und die zwei langen Fangzähne gruben sich in das junge Fleisch. Der andere zitterte und stieß einen tiefen, kehligen Laut aus, die Hand griff ins Leere, die Augen waren aufgerissen und wurden trüb und grau, während der Vampir trank. Er wimmerte leise, bis der Vampir ihn endlich losließ, ihn mit beiden Händen von sich schob und in das feuchte Gesicht blickte, auf die halbgeschlossenen Augen, die schlaff herabhängenden Hände.
    Der Junge erschauerte und stöhnte wie im Fieber. Der Vampir setzte ihn sanft in einen Stuhl, blickte auf ihn hinunter, und seine bleiche Haut nahm eine leichte Tönung an, als würde sie von einem rosigen Licht beschienen. Seine Lippen röteten sich, wurden dunkler, die Adern an den Schläfen und auf den Händen traten weniger hervor, sein Gesicht war glatt und jugendlich. Der Jüngling rang nach Worten; die Tränen stiegen ihm in die Augen, der Kopf schwankte, als sei er zu schwer, und die Hände hielten sich an der Tischplatte fest.
    »Werde ich… sterben?« flüsterte er mit zitternden Lippen. »Werde ich sterben?« Es klang wie ein Seufzer.
    »Ich weiß es nicht«, sagte der Vampir lächelnd. Der andere schien noch etwas sagen zu wollen, doch die Hände tasteten ins Leere, der Kopf fiel vornüber, und er verlor das Bewußtsein.

    Als der Junge wieder die Augen öffnete, sah er die Sonne und spürte sie auf Gesicht und Händen. Dann richtete er sich mühsam auf, reckte sich, holte tief Atem und legte die Hand an die Stelle, wo der Vampir sein Blut gesaugt hatte. Er erhob sich und ging taumelnd zum Waschbecken in der Ecke, drehte den Hahn auf und benetzte sein Gesicht mit kaltem Wasser. Sein Atem ging wieder gleichmäßig, er blieb stehen, ohne zu schwanken, und blickte in den Spiegel. Dann sah er nach der Uhr, setzte sich wieder an den Tisch, zog ein Notizbuch und einen Bleistift aus der Tasche, drückte die Taste des Tonbandgerätes und ließ das Band zurücklaufen, bis die Stimme des Vampirs ertönte. Er wiederholte das mehrmals, bis er die Stelle gefunden hatte, die er brauchte, und die vertraute Stimme sprechen hörte: »Es war ein warmer Sommerabend, und sobald ich ihn in der St. Charles Avenue sah, wußte ich, daß er einem bestimmten Ziel zustrebte…«
    Und schnell notierte er: »Lestat… Querstraße der St. Charles Avenue. Altes verfallenes Haus, schäbige Umgebung… verrostete Balkongitter.«
    Dann steckte er das Notizbuch in die Tasche, verstaute das Gerät in seiner Mappe und eilte den Korridor entlang und die Treppe hinunter auf die Straße, wo er seinen Wagen geparkt hatte.
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