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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
Autoren: Anne Rice
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sich Schweigen um uns wie ein dunkles Meer. Die Fliegen schwärmten um den verwesenden Leib einer Ratte, und das Kind sah mich friedlich an, als seien meine Augen helle Glasmurmeln, und sein Händchen schloß sich um meinen Finger, den ich ihm vors Gesicht hielt.
    Lestat hatte sich aufgerichtet, doch nur, um wieder in seinen Sessel zurückzusinken. ›Ich wollte so viel mit dir besprechen‹, sagte er. ›In jener Nacht, als ich in die Rue Royale heimkehrte, wollte ich nur mit dir sprechen^ Er zitterte, und seine Kehle schien sich zusammenzuziehen, als ob die Schläge, die ich ihm damals versetzt hatte, ihn erst jetzt mit voller Wucht träfen. Er feuchtete sich die Lippen an und fuhr mit leiser Stimme fort: ›Ich bin dir nach Paris nachgereist…‹
    ›Was war es, das du mir sagen wolltest?‹ fragte ich. ›Worüber wolltest du mit mir sprechen?‹ Jetzt erinnerte ich mich seiner unsinnigen Hartnäckigkeit im Théâtre des Vampires. All die Jahre hatte ich nicht mehr daran gedacht. Und auch jetzt sprach ich nur widerstrebend davon.
    Doch er lächelte nur, ein abgeschmacktes, beinahe entschuldigendes Lächeln, und schüttelte den Kopf. Innerlich atmete ich auf. Doch er sagte abermals: ›Aber du bleibst doch!‹
    ›Nein!‹ erwiderte ich.
    ›Und ich auch nicht‹, sagte der junge Vampir, der wieder hereingekommen war und am offenen Fenster stand. Lestat sah zu ihm hinüber und blickte dann hilflos zu Boden. Seine Unterlippe zitterte, und er sagte nur ›Mach es zu, mach es zu‹ und zeigte zum Fenster. Dann stieß er einen riefen Seufzer aus, bedeckte den Mund mit der Hand und schluchzte.
    Der junge Vampir ging; ich hörte die Gartentür kreischen und seine Schritte auf dem Pflaster der Straße verhallen. Und ich war allein mit dem weinenden Lestat. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Ich dachte an alles, was zwischen uns vorgefallen war, erinnerte mich an Dinge, die ich längst vergessen geglaubt, und fühlte die gleiche überwältigende Traurigkeit wie beim Anblick unseres Hauses in der Rue Royale. Und doch war es keine Trauer um Lestat, um jenen fröhlichen, flotten Vampir, der damals dort gewohnt hatte, sondern eine Trauer, die über Lestat hinausging und ihn mit einschloß und Teil der großen schrecklichen Traurigkeit war um alle die Dinge, die ich je gekannt, geliebt und verloren hatte. Zu meinem Erstaunen sah ich meine eigene Träne auf das Gesicht des Kindes fallen, sah sie auf seiner runden Wange glitzern; und das Kind lächelte, vielleicht, weil es das Licht in meinen Tränen schimmern sah.
    Lestat sagte: ›Aber Louis… wie kannst du so sein, wie kannst du das ertragen? Sag es mir, hilf mir, es zu begreifen! Wie kannst du das alles verstehen, wie kannst du es aushalten?‹ Doch dann verschleierten sich seine Augen und verwirrten sich. Er zog den Bademantel fester an sich, schüttelte den Kopf und starrte ins Feuer.
    ›Ich muß jetzt gehen‹, sagte ich. Ich war müde, war seiner müde und müde dieser Traurigkeit und sehnte mich hinaus in die Stille, jene vollkommene Ruhe, an die ich mich so gewöhnt hatte. Und fast ohne daß es mir bewußt war, nahm ich das Baby an mich.
    Lestat blickte mich noch einmal an mit seinen großen, gequälten Augen und seinem glatten alterslosen Gesicht. ›Aber du kommst doch wieder, Louis?‹ fragte er. ›Du kommst mich doch besuchen?‹
    Ich wandte mich ab und verließ das Haus. Auf der Straße blickte ich zurück und sah ihn am Fenster stehen, als fürchte er sich auszugehen. Wahrscheinlich war er lange nicht draußen gewesen, und vielleicht würde er nie wieder ausgehen.
    Dann kehrte ich zu dem kleinen Haus zurück, aus dem der junge Vampir das Kind geholt hatte, und legte es behutsam wieder in sein Bettchen.«

    »Nicht gleich, vielleicht einen Monat später, berichtete ich Armand, daß ich Lestat gesehen hatte. Die Zeit spielte für mich damals ebensowenig eine Rolle wie heute. Doch Armand bedeutete sie offenbar viel; er war erstaunt, daß ich es ihm nicht schon früher erzählt hatte.
    Wir spazierten an diesem Abend im oberen Teil der Stadt, wo sie in den Audubon-Park übergeht. Der Deich ist dort nur ein kahler Grashang, der zu dem schlammigen Ufer hinabführt, auf dem sich hier und da Treibholz angesammelt hat. Am jenseitigen Ufer funkelten in der Feme einzelne Lichter der Fabriken und Lagerhäuser wie Sterne. Der Mond beleuchtete die kräftige schnelle Strömung zwischen den Ufern, vom Wasser kam eine leichte Brise herauf, bewegte die Blätter der Weidenbüsche
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