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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
Autoren: Anne Rice
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und machte die Sommerhitze erträglich. Mir war, als würde ich New Orleans nie wieder verlassen. Doch was sollen derartige Gedanken, wenn man ewig leben kann? New Orleans nie wieder verlassen? Wieder schien mir ein Wort aus der Menschenwelt.
    Armand fragte: ›Hast du denn kein Bedürfnis nach Rache empfunden?‹ Er lag neben mir im Gras, auf einen Ellbogen gestützt, und blickte mich an.
    ›Warum?‹ fragte ich und wünschte, wie jetzt so oft, allein zu sein, ohne ihn. Allein mit dem kühlen gewaltigen Strom unter dem blassen Mond. ›Er erleidet ja seine eigene Rache‹, fuhr ich fort. ›Er stirbt, stirbt an seiner Angst, seiner Starrheit. Nicht den heiteren und anmutigen Vampirtod, den du mir einmal in Paris geschildert hast. Ich glaube, er stirbt so unbeholfen und unschön wie die Menschen oft sterben… an Altersschwäche.‹
    ›Aber du - was hast du empfunden?‹ fragte Armand weiter. Ich erschrak über den persönlichen Charakter dieser Frage - wie lange war es her, daß einer von uns so zu dem anderen gesprochen hatte.
    ›Nichts‹, antwortete ich.
    ›Aber hat er dir nicht irgend etwas gesagte murmelte er, ›etwas, das den alten Haß…‹ Und hier merkte ich erst vollends, wie bekümmert er war.
    ›Was ist los, Armand?‹ sagte ich. ›Warum fragst du?‹
    Er lag auf dem Rücken und sah zu den Sternen empor. Und diese Sterne erinnerten mich an das Schiff, das uns nach Europa gebracht hatte, an die Nächte auf hoher See, als die Sterne die Wellen zu berühren schienen.
    ›Ich dachte, er hätte dir vielleicht etwas über Paris erzählt«, sagte Armand.
    ›Was hätte er über Paris erzählen sollen?‹ fragte ich. ›Daß er nicht gewollt hat, daß Claudia stirbt…?‹ Wieder Claudia - der Name klang sonderbar fremd. Claudia, die eine Patience legte auf dem Tischchen in unserer Kabine, das mit dem Rollen des Meeres schwankte, und der Anblick der Sterne durch das Bullauge…
    ›Du hättest mir alles, was du wolltest, über Paris erzählen könne», sagte ich. ›Schon lange. Es hätte mir nichts ausgemacht.‹
    ›Sogar, daß ich es war, der…‹
    Ich sah ihn an, wie er so dalag und in den Himmel blickte; ich sah die ungeheure Pein in seinem Gesicht, seinen Augen. Sie schienen mir übermäßig groß, zu groß, und das weiße Gesicht, das sie umrahmte, war zu hager.
    ›Daß du es warst, der sie umbrachte?‹ fragte ich. Und ich mußte lächeln. ›Erzähle mir nur nicht, daß es dich in all den Jahren geschmerzt hat.‹
    Er schloß die Augen und wandte sich ab und hielt die Hand vor die Brust, als habe ihn ein plötzlicher, furchtbarer Schlag getroffen.
    ›Du kannst mir nicht einreden, daß es dich bekümmerte sagte ich kühl. Ich blickte auf das Meer hinunter, und abermals überkam mich der Wunsch, allein zu sein. Bald, sagte ich mir, würde ich aufstehen und davongehen. Das heißt, wenn er nicht als erster aufbräche; denn es hätte mir gefallen, noch dort zu bleiben. Es war ein ruhiges, abgeschiedenes Plätzchen.
    ›Dich bewegt nichts‹, sagte Armand. Er setzte sich langsam auf und drehte sich wieder zu mir, so daß ich das dunkle Feuer in seinen Augen sehen konnte. ›Ich dachte, dich würde wenigstens das bewegen. Ich dachte, du würdest die alte Leidenschaft, den alten Zorn empfinden, wenn du ihn wiedersähest. Ich dachte, irgend etwas würde in dir wieder lebendig werden, wenn du ihn sähest… wenn du dorthin zurückkehrtest.‹
    ›Daß ich neu zum Leben erwachen würde?‹ fragte ich. Und ich fühlte die kalte Härte meiner Worte, als ich das sagte. Mir war, wie wenn ich aus Stein wäre und er mit einem Mal zerbrechlich, wie er es im Grunde schon seit langem gewesen war.
    ›Ja!‹ rief er. ›Ja, zum Leben!‹ Und dann schien er verwirrt, aus der Fassung gebracht. Und etwas Merkwürdiges geschah. Er beugte den Kopf, als sei er besiegt. Und etwas in der Art, wie er sich geschlagen gab, wie es sich in seinem glatten Gesicht, wenn auch nur für einen Moment, spiegelte, erinnerte mich an eine andere Person, die ich ebenso besiegt gesehen hatte. Und es war bestürzend, daß es einen langen Augenblick dauerte, bis ich Claudias Gesicht mit diesem Ausdruck sah; Claudia, als sie neben dem Bett im Hotel Saint-Gabriel in Paris stand und mich bat, Madeleine in eine von uns zu verwandeln. Der gleiche hilflose Blick, die Niederlage, so herzergreifend, daß man alles daneben vergessen konnte. Und dann schien Armand, wie Claudia, sich wieder zu fassen und alle Kraft zusammenzunehmen. Doch er sprach
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