Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
Armand bringen sollte, sah ich die Leute, die auf dem ruhelosen Boulevard an mir vorüberzogen - elegante Damen und Herren, Bummler, Gepäckträger, Zeitungshändler, Droschkenkutscher -, sie alle sah ich in einem neuen licht. Vorher hatte ich mir von der Kunst ein tieferes Verständnis des Menschenherzens versprochen. Und nun bedeutete mir das Menschenherz nichts mehr; ich schätzte es nicht geringer, sondern ich vergaß es ganz einfach. Die prachtvollen Gemälde des Louvre hatten für mich keine Beziehung zu den Händen, von denen sie geschaffen worden waren. Sie hatten sich losgelöst und waren tot, wie in Stein verwandelte Kinder, wie Claudia, von ihrer Mutter getrennt und jahrzehntelang in Perlen und Brokat bewahrt. Wie Madeleines Puppen. Und wie Claudia und Madeleine und ich konnten sie alle eines Tages zu Asche werden.«

 
     
     
Vierter Teil

 
     
    U nd das ist tatsächlich der Schluß der Geschichte. Natürlich wirst du fragen, was danach mit uns geschah. Was wurde aus Armand? Wohin ging ich, was tat ich? Aber ich muß dir sagen, daß sich eigentlich nichts mehr ereignete, nichts außer solchen Dingen, die unvermeidlich waren. Seitdem habe ich mich nicht mehr verändert. Ich suchte nach nichts in dem einen großen Quell, der Menschheit heißt. Und selbst in meiner Liebe zur Welt, meiner Versenkung in ihre Schätze, versuchte ich nichts zu lernen, das ich der Menschheit zurückgeben konnte. Ich trank die Schönheit der Welt, wie ich Blut trinke. Ich war vollauf gesättigt. Aber ich war tot und unveränderlich. Die Geschichte hörte in Paris auf.
    Lange Zeit dachte ich, Claudias Tod sei der Grund für das Ende der Dinge gewesen, dachte, wenn Claudia mit Madeleine Paris unversehrt verlassen hätte, dann wäre es auch anders mit mir und Armand gekommen. Ich hätte wieder leben und begehren und versuchen können, einem Abbild irdischen Lebens zu gleichen, reich und mannigfaltig, wenn auch unnatürlich. Aber nun habe ich eingesehen, daß diese Vorstellung falsch war. Selbst wenn Claudia noch lebte, wenn ich Armand nicht verachtet hätte, weil er sie sterben ließ, wäre es nicht anders verlaufen. Ob man langsam dazu kommt, das Übel zu erkennen, oder hineingeschleudert wird… es ist das gleiche. Letzten Endes wünschte ich beides nicht. Und da ich nichts Besseres verdiente, verschloß ich mich wie eine Muschel. Und sogar Armand, mein ständiger, mein einziger Kamerad, befand sich weit von mir entfernt, war hinter jenem Schleier, der mich von allem Lebendigen trennte, dem Schleier, der die Form eines Leichentuches hatte. Aber ich sehe, du willst endlich wissen, was aus Armand wurde. Und die Nacht ist fast vorbei. Ich will es dir erzählen, denn es ist wichtig; die Geschichte wäre sonst unvollständig.
    Wir reisten also in der Welt umher: zuerst Ägypten, dann Griechenland, Italien, Kleinasien - wohin es mir gefiel und wo mich Kunstwerke lockten. Die Zeit hörte auf zu existieren in jenen Jahren, sie wurde jedenfalls bedeutungslos, und oft fand ich mich lange vertieft in im Grunde sehr einfache Dinge - ein Gemälde in einem Museum, ein buntes Kirchenfenster, eine einzelne schöne Statue.
    Aber während all dieser Jahre hegte ich eine unbestimmte, doch hartnäckige Sehnsucht nach New Orleans. Ich konnte es nie vergessen. Und wenn wir in wannen Gegenden waren, wo ähnliche Blumen und Bäume wie in Louisiana wuchsen, wurde der Wunsch stärker, und ich fühlte nach meiner Heimat das einzige Verlangen, dessen ich noch fähig war. Von Zeit zu Zeit bat auch Armand mich, ihn dorthin mitzunehmen. Und da mir bewußt war, daß ich ihn vernachlässigte, oft lange nicht mit ihm sprach und meine Streifzüge allein machte, wollte ich ihm gern diesen Gefallen tun; und darüber vergaß ich beinahe die vage Angst, daß New Orleans mir Qual bereiten, daß ich wieder den bleichen Schatten meiner früheren Glücklosigkeit und Beklemmung erleben könnte. Vielleicht war diese Furcht stärker, als ich ahnte; doch ich schüttelte sie ab.
    Wir fuhren also nach Amerika und lebten erst längere Zeit in New York. Und dann drängte mich Armand auf andere Weise. Er verriet mir etwas, das er mir bisher verheimlicht hatte. Lestat war nicht im Théâtre des Vampires verbrannt. Ich hatte es angenommen, denn sooft ich Armand nach den Vampiren fragte, sagte er, sie seien alle tot. Doch jetzt erzählte er mir, daß dem nicht so war, daß Lestat an jenem Abend das Theater verlassen hatte und zwei Vampire, die zusammen mit Lestat von demselben
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher