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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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sinken und fuhr ihm zärtlich mit den Fingerspitzen über die Wange. »So ein tapferer, dummer Mann«, sagte sie. »Aber macht Euch keine Sorgen, Signore. Schon morgen wird das alles hier nicht mehr als ein böser Traum für Euch sein. Und wer weiß?«
    Sie beugte sich noch weiter vor und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. »Vielleicht wird Euer größter Wunsch ja sogar wahr, und Ihr bekommt mich. Es würde sich lohnen.«
    Rezzori sah sie nur weiter aus großen Augen an und schwieg. Corinna stand auf und wandte sich wieder an Andrej. »Du willst mich töten? Jetzt sollte ich dir eigentlich schon wieder böse sein. Aber auf der anderen Seite … Versuch es ruhig. Wenn es dir gelingt, habe ich es wahrscheinlich nicht besser verdient.«
    Sie hob die Hand, und oben auf dem Laufgang zog Meruhe ihr Schwert zurück und versetzte Aber Dun einen unsanften Stoß, der ihn zwang, aufzustehen und sich dem lodernden Schmelzofen weiter zu nähern. »Was für eine Verschwendung«, sagte Corinna. »Was könnte ich mit einem Mann wie ihm an meiner Seite erreichen! Wie bedauerlich, dass er sich für dich entschieden hat und nicht für mich.«
    »Lass ihn gehen«, bat Andrej noch einmal. »Ich meine es ernst. Ich werde tun, was immer du willst, wenn du ihn verschonst.«
    »Aber das tust du doch schon, Andrej«, antwortete Corinna lächelnd. »Und du wirst es auch weiter tun. Du sollst leben, Vater, und du wirst an jedem einzelnen Tag an mich denken. Ich will, dass du an jedem Morgen mit dem Gedanken an deinen Sohn und das, was du ihm angetan hast, aufwachst und dass er der Letzte ist, an den du am Abend denkst, bevor du einschläfst, und dass er dich in deine Träume verfolgt. Von heute an werde ich immer bei dir sein. Hat dir gefallen, was heute geschehen ist?«
    Andrej schwieg.
    »Und das war erst der Anfang«, fuhr Corinna fort. »Du wirst ein Gejagter sein, Andrej. Du wirst nie wieder Frieden finden. All die Toten heute wird man dir anrechnen, und alle die, die kommen werden, auch. Und es werden viele sein, das verspreche ich dir. Unendlich viele! Wohin du auch gehst, ich werde schon da sein, und ich werde dafür sorgen, dass die Menschen dich hassen und fürchten. Ganz egal, was auch passiert, sie werden glauben, dass es deine Schuld ist. Und ganz egal, wen du triffst, Vater, du wirst nie wissen, wer es ist. Jeder Fremde, mit dem du ein paar harmlose Worte wechselst oder einen Wein trinkst. Jede Frau, die du in den Armen hältst. Jeder Kriegsherr, der dich in seine Dienste nimmt, und jedes Kind, das dich um Süßigkeiten anbettelt, Andrej. Du wirst nie wieder sicher sein können, dass nicht in Wirklichkeit ich es bin. Das ist mein Vermächtnis an dich. Du schuldest mir ein Leben, weißt du?«
    Sie machte eine Kopfbewegung zu Meruhe und dem Nubier hinauf und lachte leise und sehr hässlich. »Sieh es von der praktischen Seite, Vater. Es ist schön, einen so treuen Freund zu haben, aber du könntest dir seiner auch nie wieder sicher sein.«
    »Du weißt nicht einmal, was das Wort Freundschaft bedeutet«, sagte Andrej bitter.
    »Woher auch?«, gab Corinna ungerührt zurück. »Ich habe nur die Einsamkeit kennengelernt. Abu Dun ist dein Freund? Du hast recht. Ich weiß vielleicht nicht, was dieses Wort bedeutet, aber eines weiß ich genau: Ganz egal, wie sehr du ihm auch zu vertrauen glaubst, tief in dir wirst du dir immer die Frage stellen, ob es wirklich noch Abu Dun ist, mit dem du gerade sprichst, oder ob ich es vielleicht bin.«
    Sie nickte bekräftigend. »Oh ja, das könnte ich. Ich kann mir jeden Körper nehmen, der mir gefällt. Jeder von uns kann das. Zwar ahnen es die wenigsten, aber ich hatte genug Zeit, es herauszufinden. Genauso viel Zeit, wie du haben wirst, um zu bereuen, was du deinem Sohn angetan hast.«
    Sie wartete, dass er etwas erwiderte, hob schließlich nur die Schultern und drehte sich mit einem resignierten Seufzer um. »Ja, du hast recht, Vater. Bringen wir es zu Ende.«
    Mit einem Ruck wandte sie sich um, scheuchte einen Mann aus dem Weg, der nicht schnell genug beiseitetrat, und hüpfte mit den verspielten kleinen Schritten eines übermütigen Kindes die steile Treppe hinauf. Abu Dun sah ihr mit versteinerter Miene entgegen, und Andrej fiel vielleicht zum ersten Mal wirklich auf, wie klein und zerbrechlich sie neben dem sieben Fuß großen Hünen aussah; wie ein Kind, das sich einem mythischen Giganten näherte, der sie mit einer Bewegung seines kleinen Fingers hätte zerschmettern können. Aber er sah
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