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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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sie nur an, wie von einer unsichtbaren Macht in ihren Bann geschlagen. Andrej spürte seine Furcht, die einzige Regung, die sie ihm noch gestattete, aber auch das war eine weitere Grausamkeit, um ihn zu quälen, nicht den Nubier.
    »Willst du dich noch von deinem Freund verabschieden, Vater?«, fragte Corinna. Sie scheuchte Meruhe mit einer unwilligen Geste zurück, legte die linke Hand mit gespreizten Fingern zwischen Abu Duns Schulterblätter und beugte sich zugleich behutsam vor, um in den lodernden Höllenschlund des Ofens hinabzublicken. Glutheiße Luft schlug ihr ins Gesicht und ließ ihr Haar wehen. Etliche Strähnen kräuselten sich unter der enormen Hitze noch weiter und färbten sich grau. Andrej meinte, den Gestank von schmorendem Fleisch wahrzunehmen.
    Ein vollkommen neues Gefühl kalten Entsetzens begann, von ihm Besitz zu ergreifen, eine Hilflosigkeit, die wehtat, aber er war unfähig, sich zu rühren. Corinnas Blick lähmte ihn. Ihre Augen waren wie zwei lodernde Räder aus schwarzem Feuer, die sich bis auf den Grund seiner Seele brannten. Andrej fühlte die Vorfreude auf die grausame Qual, die sie ihrem Opfer bereiten würde, das Lebenselixier der schwarzen Bestie, die im Körper einer jungen Frau wohnte.
    Corinna verstärkte den Druck ihrer Hand, und Abu Dun versteifte sich. Ihr Wille war dem seinen weit überlegen, aber bei dem Nubier kamen jetzt der pure Selbsterhaltungstrieb und vielleicht die angeborene Furcht jeder Kreatur vor dem Feuer zum Vorschein. Andrej sah, wie sich die Muskelstränge an Abu Duns Hals strafften und seine Lippen zu einem schmalen, angestrengten Strich wurden.
    Corinna legte die Stirn in Falten und sah ein bisschen verärgert aus, versuchte es noch einmal und trat schließlich mit einem resignierenden Seufzen zurück. Meruhe trat dem Nubier so hart in die Kniekehlen, dass der mit einem schmerzerfüllten Zischen auf die Knie fiel. Einen bedrohlichen Moment lang wankte er und schien nach vorne zu kippen. Eine knisternde gelbe Flammenzunge leckte nach ihm, als spüre das Feuer die Nähe des Opfers, das ihm dargebracht werden sollte. Tanzende rote und gelbe Funken hüllten Abu Duns Oberkörper und Gesicht ein, als er sich stöhnend aufrichtete. Hinter ihm ergriff Meruhe das Schwert mit beiden Händen und spreizte leicht die Beine, um festen Stand für den entscheidenden Hieb zu haben.
    Etwas knallte, und Andrej nahm den typischen Geruch von verbranntem Schießpulver wahr, noch bevor Meruhe einen halben Schritt weit zurücktorkelte und das Schwert fallen ließ. Es klirrte unmittelbar neben dem knieenden Nubier auf den hölzernen Steg, hüpfte wie ein lebendes Wesen trotzig noch einmal in die Höhe und verschwand dann in der lodernden Kaminöffnung, was eine neuerliche Explosion zischender gelber und roter Funken zur Folge hatte, die diesmal nicht nur Abu Dun einhüllten, sondern auch Corinna und Meruhe.
    Neben ihm fuhr eine der nubischen Kriegerinnen lautlos und schnell wie ein Schatten herum und trat Rezzori die ohnehin nutzlose Pistole aus der Hand, während ihre Schwester im gleichen Sekundenbruchteil das Schwert hob und die Spitze unter Andrejs Kinn setzte. Er konnte spüren, wie sich der geistige Würgegriff des Ungeheuers für einen winzigen Moment lockerte, stemmte sich mit verzweifelter Kraft dagegen und hätte vor Enttäuschung fast laut aufgeschrien, als sich die unsichtbaren Fesseln um seinen Geist wieder zusammenzogen, beinahe noch enger als zuvor. Wenn er überhaupt eine Chance gehabt hatte, dann hatte er sie verspielt.
    Oben auf dem Steg machte Meruhe einen ungeschickten, stolpernden Schritt seitwärts, sah an sich hinab und starrte aus ungläubig aufgerissenen Augen auf das kreisrunde rauchende Loch in ihrer Brust, kaum einen Fingerbreit unter ihrem Herzen. Langsam sank sie auf die Knie, versuchte vergeblich, sich mit einer Hand abzustützen, und fiel dann schwer auf die Seite.
    Neben ihm versetzte die Kriegerin Rezzori einen zweiten, in jeder Hinsicht überflüssigen Tritt, der ihn halb bewusstlos wieder auf den Rücken schleuderte, und setzte dazu an, auch noch ein drittes Mal zuzutreten, aber Corinna hielt sie mit einem scharfen Ruck an ihrer unsichtbaren geistigen Fessel zurück.
    »Lass das!«, fügte sie laut hinzu und schüttelte bekräftigend den Kopf. »Ich nehme es ihm nicht übel. Im Gegenteil.«
    Sie machte eine entsprechende Handbewegung, und die Kriegerin ließ sich neben Rezzori auf ein Knie sinken und zwang ihn wieder in eine halb sitzende Position
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