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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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hoch. Rezzori wimmerte vor Schmerz, als sie seinen verbrannten Arm packte und brutal auf den Rücken drehte.
    »Wirklich, mein lieber Signore«, fuhr Corinna mit einem dünnen Lächeln fort. »Ich bin Euch nicht böse. Ich glaube, ich wäre sogar ein bisschen enttäuscht gewesen, wenn Ihr es nicht versucht hättet. Und immerhin habt Ihr ja nicht auf mich geschossen.«
    Sie schüttelte den Kopf, seufzte noch einmal tief und sah dann einen endlosen Herzschlag lang auf Meruhe hinab, schließlich wieder auf Abu Dun, der noch immer reglos und weit nach vorne gebeugt über der lodernden Ofenöffnung kauerte. Die Hitze dort oben musste unerträglich sein. Abu Duns Gesicht war bereits mit Blasen und hässlich nässenden Wunden übersät, und sein Turban und die Schultern seines schwarzen Mantels schwelten. Unvorstellbarer Schmerz stand in seinen Augen geschrieben, und noch unsäglich viel größere Furcht. Er war gelähmt und unfähig, sich zu rühren, aber das Ungeheuer sorgte dafür, dass er jede einzelne Sekunde in aller grausamen Deutlichkeit durchlitt.
    Corinna seufzte wie ein unzufriedenes, nörgeliges Kind. »Es ist immer dasselbe«, maulte sie. »Es muss wohl stimmen, wenn man sagt: Wenn du sicher sein willst, dass etwas erledigt wird, dann tu es selbst.«
    Sie trat hinter Abu Dun, hob das Bein und setzte den Fuß zwischen seine Schulterblätter. Hinter ihr richtete sich Meruhe mit benommen wirkenden, fahrigen Bewegungen auf. Blut tränkte die Brust ihres schwarzen Gewandes und lief in zwei dünnen glitzernden Bahnen aus ihren Mundwinkeln; in ihren Augen stand fast derselbe unerträgliche Schmerz geschrieben wie in denen Abu Duns.
    Aber es waren ihre Augen. Zum allerersten Mal, seit sie sich in dieser schwimmenden Stadt wiedergesehen hatten, blickte Andrej nicht in die leeren Augen einer Puppe, die von einem übermächtigen fremden Willen gelenkt wurde, sondern in die der uralten nubischen Kriegerkönigin, die er vor so langer Zeit kennen- und lieben gelernt hatte. Sie war frei.
    Corinnas wie mit dünnen schwarzen Tuschestrichen gemalte Augenbrauen zogen sich zu einem spitzen »V« zusammen, während sie Andrej weiter anstarrte, dann flog ihr Kopf mit einem Ruck herum, und Andrej meinte regelrecht zu spüren, wie sich die finstere Macht des Ungeheuers in ihr wieder auf Meruhe konzentrierte.
    Der flüchtige Lebensfunke in Meruhes Augen erlosch, und Andrej konnte sehen, wie sich jeder einzelne Muskel in ihrem Leib mit Knochen zerbrechender Kraft verkrampfte, als Corinna mit all ihrer ungeheuerlichen Gewalt zuschlug.
    Doch es war zu spät, denn Meruhe sprang bereits, und diese Bewegung konnte auch Corinna nicht mehr aufhalten.
    Mit weit ausgebreiteten Armen prallte Meruhe gegen Corinna und riss sie mit der Wucht ihres Anpralls von den Füßen. Corinna kreischte in einer Mischung aus Wut und jäh aufloderndem Entsetzen, kämpfte den Bruchteil eines Atemzuges mit verzweifelt rudernden Armen um ihr Gleichgewicht und kippte dann nach hinten und über Abu Duns Schulter. Wie in einer letzten tödlichen Umarmung vereint, stürzten Meruhe und sie in den lodernden Höllenschlund hinab.
    Für eine einzelne nicht enden wollende Sekunde geschah gar nichts, fast als hätte die Zeit selbst den Atem angehalten. Dann erscholl ein dumpfer, sonderbar trockener Knall, und eine doppelt mannshohe gelbe Flamme stieß wie ein Speer aus dem Brennofen und setzte die Deckenbalken in Brand, gefolgt von einer Milliarde angriffslustig tanzender Funken, die ihr Möglichstes taten, um das Zerstörungswerk fortzusetzen. Andrej hatte das Gefühl, einen lautlosen Schrei zu hören, der nur in seinem Kopf widerhallte, gefolgt von einer Woge so grenzenlos ungläubigen Entsetzens, dass er nicht der Einzige war, der wie von einem Hieb getroffen zurücktaumelte.
    Dann explodierte der Ofen. Linien aus weißem, unvorstellbar hellem Licht erschienen auf seiner gemauerten Oberfläche und vereinigten sich zu einem lodernden Spinnennetz. Ein ungeheuerlicher Donnerschlag ließ das gesamte Gebäude in seinen Grundfesten erbeben, und der steinerne Ofen verwandelte sich in einen grellorangefarbenen Feuerball, der in alle Richtungen zugleich explodierte.
    Die Druckwelle hob Andrej von den Füßen, aber er sah noch im Fallen, wie Abu Dun über ihm wie ein trockenes Blatt im Sturm davongewirbelt wurde und mit brennenden Kleidern im Chaos verschwand. Andrej ließ sich von seinem Instinkt leiten und warf sich mit ausgebreiteten Armen auf den halb bewusstlosen Rezzori, um
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