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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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wurde er mit einem Anblick, der bizarrer kaum sein konnte. Die gesamte Halle begann unter gewaltigem Getöse Funken und Flammen speiend zusammenzubrechen, und wie ein feuergeborener Gott aus dem Chaos der Urschöpfung torkelte eine riesenhafte, lichterloh brennende Gestalt aus dem Herzen dieser gleißenden Hölle heraus.
    Abu Dun brannte. Sein Turban war verschwunden, und aus seinem Mantel schlugen Flammen. Brüllend vor Schmerz taumelte er noch ein halbes Dutzend Schritte weiter, bevor er zusammenbrach.
    Andrej war mit einem einzigen gewaltigen Satz bei ihm, riss sich den eigenen, noch schwelenden Mantel von den Schultern und warf sich auf den Nubier, um die Flammen zu ersticken, zum Teil mit dem verkohlten Stoff, aber auch mit seinem Körper und seinen bloßen Händen. Abu Dun wand sich vor Schmerz und schlug so heftig um sich, dass Andrej zwei- oder dreimal von ihm heruntergeschleudert wurde. Aber schließlich erloschen die letzten Flammen, und nur einen Atemzug später sank der tobende Nubier zurück und verlor das Bewusstsein.
    Andrej nahm sich noch einen Moment, um besorgt in Abu Dun hineinzulauschen. Selbst in tiefer Ohnmacht litt der Nubier Höllenqualen, aber das würde vergehen. Abu Dun war stark. Er würde es überleben und schon bald nicht nur wieder zu sich kommen, sondern auch wieder völlig unversehrt sein. Wenigstens körperlich.
    Schreie und Lärm begannen sich in das immer noch anhaltende Getöse des zusammenbrechenden Gebäudes zu mischen, als er sich abermals hochquälte und zu Rezzori und der bewusstlosen Kriegerin zurückwankte.
    Rezzori war offensichtlich noch deutlich zäher, als Andrej ohnehin angenommen hatte, denn er war nicht nur schon wieder zu sich gekommen, sondern hatte sich trotz seiner schweren Verletzungen auch halb aufgesetzt. Er zitterte am ganzen Leib – die ersten Folgen der schweren Verbrennungen, die er erlitten hatte –, aber sein Blick war klar, und was Andrej in seinen Augen las, gefiel ihm ganz und gar nicht.
    Es war im Moment aber auch unwichtig.
    Andrej ließ sich neben der verletzten Kriegerin auf die Knie sinken, drehte sie mit zitternden Händen auf den Rücken und blickte in ein lebloses Augenpaar.
    Er hatte sie in Sicherheit gebracht. Er hatte sie unter Einsatz seines Lebens aus dem brennenden Haus geschafft, aber damit hatte er ihr nicht einmal eine Minute mehr Leben erkauft. Eine handlange, gezackte Scherbe hatte sich tief genug in ihre Kehle gebohrt, um sie halb zu enthaupten.
    Seltsamerweise sah sie beinahe friedlich aus, trotz der tödlichen Wunde an ihrem Hals und der Spuren, die die Flammen in ihrem Gesicht hinterlassen hatten. Was er in ihren Augen las, war weder Schmerz noch Furcht, sondern nichts als ein Ausdruck unendlicher Erleichterung. Vielleicht waren die wenigen Augenblicke zusätzlichen Lebens, die er ihr verschafft hatte, doch nicht umsonst gewesen, dachte Andrej, denn in diesen allerletzten Momenten war sie wieder sie selbst gewesen.
    Bitterkeit überkam ihn und so etwas wie Abscheu vor sich selbst, weil er nicht mehr bei dem Gedanken an Meruhes Tod empfand – und bei dem seines Sohnes. Er sollte entsetzt sein und vor Schmerz schreien, aber er spürte nur so etwas wie eine dumpfe Betäubung.
    Vielleicht erwartete er auch einfach zu viel von sich. Er lebte, und das war schon unendlich viel mehr, als er noch vor einer Stunde hätte erwarten können. Der Schmerz würde kommen, dessen war er sicher, und er würde schlimmer sein und länger anhalten, als er es sich jetzt vorstellen konnte.
    Schreie und Lärm nahmen immer noch zu, und Andrej begriff, dass ihm nur noch sehr wenig Zeit blieb. Das Feuer war nicht unbemerkt geblieben, und von überall her näherten sich Menschen, um nach Überlebenden zu suchen und den Brand zu löschen, bevor die Flammen weiter um sich griffen.
    Andrej wäre es gleich gewesen. Sie hätten niemals hierherkommen dürfen, dachte er bitter, aber zugleich noch immer von lähmender Taubheit erfüllt. Wenn es nach ihm ging, dann konnte diese ganze verdammte Insel niederbrennen und der Rest dieses gottverdammten Landes gleich mit ihr.
    »War sie … eine Freundin von Euch?« Rezzoris Stimme war schwach, und das Zittern in ihr verriet ihm mehr über seinen wahren Zustand, als er selbst ahnen mochte. Aber das Mitgefühl darin war echt.
    Er hatte nicht einmal ihren vollständigen Namen gekannt, dachte Andrej. Trotzdem nickte er, und Rezzori stemmte sich mit Schmerz verzerrtem Gesicht noch weiter in die Höhe und versuchte, seinen
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