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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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Blick zu fixieren, was er aber nicht zuließ.
    »Ich nehme nicht an, dass Ihr mir erklären wollt, was ich da gerade gesehen habe«, fuhr Rezzori fort.
    »Nein«, sagte Andrej. Er spürte etwas, einen unendlich dünnen, heißen Stich, wie von einer Nadel, die sich tiefer in sein Herz bohrte.
    »Vermutlich will ich es gar nicht wissen«, sagte Rezzori.
    »Ja, vermutlich.«
    »Weil Ihr mich töten müsstet, wenn ich Euer Geheimnis kenne.« Rezzori lachte, und Andrej drehte langsam den Kopf und sah ihn an. Rezzoris Lachen erstarb.
    »Es tut mir trotzdem leid«, fuhr der Signori fort, nun wieder vollkommen ernst. »Ihr habt sie wirklich geliebt, nicht wahr?«
    Andrej schwieg auch dazu; schon weil er nicht einmal sicher war, ob Rezzori und er von derselben Person sprachen. Er versuchte, an Corinna zu denken, an ihr schmales Gesicht und das Strahlen ihrer Augen, als sie noch sie selbst gewesen war, stattdessen sah er ein anderes dunkleres Gesicht vor sich und ein Augenpaar, an dem Jahrhunderte vorübergezogen waren. Aus der dünnen Nadel, die sich in sein Herz grub, wurde eine Dolchklinge.
    »Warum hat sie das getan?«, fragte Rezzori.
    »Meruhe?« Andrej wartete seine Antwort nicht ab, sondern fuhr mit der brüchigen Stimme eines uralten Mannes fort: »Sie hat wohl geglaubt, dass das alles ihre Schuld sei. Ich hätte das Ungeheuer schon vor einem Jahr töten können, aber sie hat mich daran gehindert.«
    »Und deshalb hat sie ihr eigenes Leben geopfert, um für diesen Fehler zu bezahlen«, sagte Rezzori. »Das klingt nach einer sehr tapferen Frau.«
    Jetzt wurde aus dem Dolch eine Schwertklinge. Tapferer, als du dir auch nur vorstellen kannst, dachte Andrej. Und das nicht, um für irgendetwas zu bezahlen, sondern um sein Leben zu retten.
    »Ja«, sagte er nur. Er stand auf. Schreie und Schritte kamen näher, und es wurde Zeit zu gehen.
    »Wohin wollt Ihr, Delãny?«, fragte Rezzori.
    »Das weiß ich noch nicht«, antwortete Andrej ehrlich. »Aber ich glaube nicht, dass Ihr uns finden werdet.«
    Er ging zu Abu Dun zurück, ließ sich neben ihm auf ein Knie sinken und legte die Hand auf seine Stirn. Sie konnten nicht nur nehmen, sondern auch geben, wenigstens anderen ihrer Art.
    Abu Dun öffnete stöhnend die Augen, flüsterte einen Fluch in seiner Muttersprache und stemmte sich unsicher auf beide Ellbogen hoch. Andrej sah nicht zu Rezzori zurück, aber er hörte, wie der erneut scharf die Luft einsog.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Andrej.
    »Sicher«, grummelte Abu Dun. »Genau wie bei dir, nehme ich an.«
    Andrej strecke ihm die Hand entgegen und war fast überrascht, als Abu Dun das Angebot annahm; und noch mehr, wie viel Mühe es ihn kostete, den Nubier auf die Füße zu ziehen. »Wir sollten verschwinden«, sagte er. Der Nubier nickte nur stumm, und hinter ihm sagte Rezzori: »Signore Delãny?«
    Andrej wollte nicht mit ihm reden. Eigentlich wollte er nie wieder reden. Der Schmerz in seiner Brust wurde schlimmer, und er fragte sich schon längst nicht mehr, ob er irgendwann einmal erlöschen würde, sondern nur noch, ob es irgendwann aufhören würde, schlimmer zu werden.
    Trotzdem drehte er sich noch einmal zu Rezzori um und sah ihn fragend an.
    »Das Schiff, mit dem Ihr hergekommen seid, Delãny«, sagte Rezzori. »Erinnert Ihr Euch noch an seinen Namen und wo es liegt?«
    Andrej nickte, und Rezzori fuhr mit einem schiefen Lächeln fort. »Ich habe mit dem Kapitän gesprochen. Wie es der Zufall will, läuft es morgen bei Sonnenaufgang aus. Solltet Ihr und Euer Freund dann an Bord sein, könnte es mir vielleicht schwerfallen, Euch noch zu finden.«
    Es dauerte einen Moment, bis Andrej wirklich begriff. »Ihr lasst uns gehen?«, vergewisserte er sich. »Einfach so?«
    »Wie könnte ich zwei gesuchte Mörder und Spione einfach so gehen lassen?«, erwiderte Rezzori, machte zugleich aber auch eine Kopfbewegung zu dem lodernden Scheiterhaufen hinter ihm. »Aber wenn ich Euch und Euren Freund festnehmen würde, müsste ich Euch verhören, und vielleicht würde ich dann erfahren, was dort gerade wirklich geschehen ist.«
    »Und ich nehme an, das wollt Ihr nicht?«
    »Ich bin nicht sicher, ob ich das sollte«, antwortete Rezzori. »Vielleicht gibt es ja Dinge, die niemand wissen sollte.«
    »Ihr seid ein kluger Mann«, antwortete Andrej.
    Er nahm Abu Duns Arm, legte ihn sich um die Schultern und stützte den Nubier, als sie sich umwandten und ohne ein weiteres Wort gingen.
    Er wusste nicht, wohin. Vielleicht an einen Ort, an
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