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Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)
Autoren: Michelle Paver
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auf die Lachse achten«, rief Thull vom Ufer, »nicht darauf, wo du hintrittst!«
    Leicht gesagt. Die algenbewachsenen Steine waren glitschig und um Toraks Füße strudelte grünliches Wasser. Ab und zu sah man einen Lachs silbern aufblitzen. Der lange, schwere Fischspeer erschwerte es noch, das Gleichgewicht zu halten. Am vorderen Ende war ein gegabeltes Rehgehörn angebracht, womit man die Fische aufspießen konnte – falls man welche erwischte. Das war Torak trotz mehrfacher Versuche noch nie gelungen. Als er noch mit seinem Vater umhergezogen war, hatte er immer mit Haken und Leine geangelt. Mit dem Speer stellte er sich so ungeschickt an wie ein sieben Sommer altes Kind, was ihm Sialot immer wieder hämisch unter die Nase rieb.
    Er riss sich zusammen. Stach zu. Daneben. Wäre fast ausgerutscht.
    »Lass sie erst vorbei, ehe du zustößt!«, brüllte Thull. »Hol sie dir, wenn die Strömung sie zurückwirft und sie müde sind!«
    Torak unternahm einen zweiten Versuch. Wieder daneben.
    Vom Räucherplatz ertönte schallendes Gelächter. Torak schoss das Blut ins Gesicht. Sialot amüsierte sich über ihn.
    »Schon besser!«, rief Thull aufmunternd, aber nicht ganz ehrlich. »Versuch’s weiter. Ich bin gleich wieder da.« Er ging zum Feuer, um Holz nachzulegen, und ließ den kleinen Dari allein im Flachen spielen, wo er seinem Auerochsen etwas vorsang.
    Eine Weile war Torak ganz davon in Anspruch genommen, weder den Speer ins Wasser fallen zu lassen noch selbst hineinzuplumpsen, und er vergaß seine Befürchtungen. Bald war er klitschnass gespritzt. Der Fluss schäumte zornig. Unermüdlich warf er sich in hohen Wellen gegen den Stein, auf dem Torak balancierte.
    Auf einmal ertönte vom Steg her ein Ausruf. Torak fuhr hoch – dann atmete er auf.
    Oslak hatte noch einen Lachs gestochen. Er tötete den Fisch mit einem kräftigen Handkantenschlag, dann kniete er sich hin und löste ihn von der Speerspitze.
    Er ist nicht krank, redete sich Torak ein.
    Da sah er, dass sich Oslak wieder den Handrücken schubberte und anschließend an der Schorfkruste hinter seinem Ohr herumkratzte.
    Der erlegte Lachs glitt ins Wasser zurück. Oslak bleckte die Zähne, rupfte den Schorf ab – und aß ihn auf.
    Torak war so erschrocken, dass er beinahe den Halt verlor.
    Eine Wolke schob sich vor die Sonne. Das Wasser wurde schwarz. Der getötete Lachs trieb an Torak vorbei und glotzte ihn mit stumpfen, leblosen Augen an.
    Torak blickte zum Ufer.
    Dari war verschwunden.
    Noch ein Schrei.
    Torak drehte sich um.
    Der kleine Dari tapste über den Steg, und sein Onkel scheuchte ihn nicht etwa wieder ans Ufer, sondern lockte ihn zu sich!
    »Komm zu mir, Dari!«, rief Oslak mit grässlich verzerrtem Gesicht und funkelnden Augen. »Komm zu mir! Ich lasse nicht zu, dass man uns unsere Seelen raubt!«

Kapitel 3

    DIE RABEN am Ufer hatten von alldem nichts mitbekommen. Torak musste etwas unternehmen.
    Er stand noch unschlüssig da, als er zwei Mitglieder des Clans aus dem Wald kommen sah.
    Renn kam von Osten, in einer Hand ihren geliebten Bogen, in der anderen ein paar erlegte Ringeltauben.
    Fin-Kedinn kam vom Fluss her, leicht hinkend auf seinen Stock gestützt, und über der Schulter ein Bündel Hartriegeläste.
    Beide erfassten sofort, was vor sich ging, und setzten leise ihre Lasten ab.
    Damit Oslak nicht auf sie aufmerksam wurde, rief Torak zu ihm hinüber: »Was ist los, Oslak? Sag’s mir! Vielleicht kann ich dir helfen.«
    »Mir kann keiner helfen!«, brüllte Oslak. »Meine Seelen entweichen. Jemand isst sie auf! «
    Jetzt drehten sich auch die anderen Raben verwundert nach ihm um. Daris Mutter stieß einen Schrei aus und wollte losstürzen, aber Thull hielt sie zurück. Oslaks Gefährtin Vedna biss sich vor Entsetzen auf die Faust. Saeunn stand reglos hoch oben auf ihrem Felsen.
    Inzwischen war Renn am Steg angekommen, den Fin-Kedinn trotz seines lahmen Beins als Erster erreicht hatte. Stumm gab er ihr seinen Stab zum Halten.
    »Wer isst deine Seelen auf?«, wandte sich Torak abermals an Oslak.
    »Die Fische!« Gelber Geifer troff von Oslaks Lippen. »Mit ihren Zähnen! Ihren scharfen Zähnen!« Er zeigte ins Wasser, wo die Lachse mit ihren Sprüngen seine Namensseele kräuselten.
    Torak bekam es mit der Angst zu tun. So verhielt sich die Namensseele immer, wenn man sich über einen Fluss beugte, und es schadete nichts – außer wenn einem übel war! Dann konnte einem so schwindlig werden, dass man ins Wasser fiel.
    »Bald ist sie
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