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Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)
Autoren: Michelle Paver
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kummervoll und abwesend. »Deine Mutter hat sich nicht blenden lassen, aber dein Vater hat zu spät begriffen, wie es sich in Wirklichkeit verhielt.« Er breitete die Hände aus. »Er wollte aus der Gruppe ausscheiden, aber man wollte ihn nicht gehen lassen.«
    »Ist das der Grund, weshalb er sterben musste?«
    Der Anführer der Raben nickte bedächtig.
    Schluchzend und mit bebenden Schultern hockte Torak da, den Kopf auf die Knie gelegt. Fin-Kedinn saß, schweigend und ohne ihn anzufassen, neben ihm, doch allein seine Gegenwart war tröstlich.
    Irgendwann stand der Ältere auf. »Ich gehe wieder ins Lager. Du bleibst hier und zupfst den Bast von der restlichen Rinde. Wasch ihn im Fluss aus und häng ihn zum Trocknen auf.«
    Torak nickte benommen, denn sprechen konnte er nicht.
    »Morgen zeige ich dir, wie man Seile dreht«, versprach ihm Fin-Kedinn noch.

    Torak war gelaufen und gelaufen, bis er völlig außer Atem war, aber er kam einfach nicht darüber hinweg: Fa war ein Seelenesser gewesen. Sein Fa, sein eigener Fa…
    Die Kehle schnürte sich ihm zusammen. Wut, Kummer und Angst tobten in seiner Brust.
    Am Ufer eines reißenden Flusses, der über große, moosbewachsene Felsen toste, blieb er schließlich stehen. Ein Eichhörnchen flitzte den Stamm eines Ahornbaums hoch. Ein Otter ließ die erbeutete Forelle liegen und floh ins Farnkraut.
    Torak kniete sich zum Trinken hin und seine Namensseele blickte ihm aus dem Wasser entgegen. Torak vom Wolfsclan. Der Seelenwanderer Torak.
    Mit einem Wutschrei packte er ein Büschel gelber Sonnenbecher und riss die Blüten in Fetzen. Er gehörte nicht zu den Raben, er gehörte nirgendwohin …
    Irgendwann kam der Otter zurück und machte sich wieder über seine unterbrochene Mahlzeit her, und das Eichhörnchen knabberte in der Ahornkrone an der Rinde, weil es an das süße, klebrige Baumblut heranwollte.
    Torak setzte sich ins Gras, lehnte sich an den Baumstamm, sah ihnen zu und kam ein wenig zur Ruhe. Die beiden scherten sich nicht darum, dass sein Vater ein Seelenesser gewesen war. Auch dass er selbst ein Seelenwanderer war, kümmerte sie nicht. Solange er sie nicht behelligte, hatten sie nichts gegen ihn einzuwenden.
    Er legte die Hand auf die raue Rinde und spürte, wie ihn neue Kraft durchströmte. Der Wald selbst spendete ihm Kraft.
    Ein leiser Trotz regte sich. Hier gehörte er hin, in diesen Wald. Bei allem, was ihm Schlimmes widerfahren war, hatte ihn der Wald stets gestärkt. Er hatte ihm die Kraft geschenkt, den Bären zu bezwingen. Die Kraft, Tenris und der Meermutter zu trotzen. Die Kraft, sein Schicksal anzunehmen. Vielleicht wusste das ja auch Fas Geist – wo immer er inzwischen weilen mochte – und war stolz auf ihn.
    Der Ahorn rauschte leise im Wind und breitete schützend die Arme aus. Torak hob den Kopf und blickte in das leuchtend grüne Laub. Wenn der Wald ihm half, würde er seiner Bestimmung nachkommen. Um die Seelenesser zu besiegen, würde er alles tun, was in seiner Macht stand.
    »Ich tu’s«, sprach er es laut aus. »Ich tu’s!«

    Wolf entdeckte seinen Rudelgefährten am Ufer des kleinen Flinken Nass, wo er im Gras hockte und mit den Vorderpfoten glänzende graue Blätter zerrupfte.
    Erst tapste Wolf ein bisschen durch das Nass und kühlte seine Pfoten, dann fraß er aus purer Kameradschaft ein paar von den Blättern, aber als er mit dem Schwanz wedelte, lächelte ihn Groß Schwanzlos nicht wie sonst an. Wolf witterte, dass sein Rudelgefährte traurig war, und begriff gar nichts mehr.
    Wolf selbst war nämlich hochzufrieden . Endlich fand er sich wieder zurecht und wusste, wozu er auf der Welt war. Als Welpe hatte er Groß Schwanzlos im Kampf gegen den Bärendämon geholfen. Auf der Fischvögel-Insel hatte er die halbwüchsigen Schwanzlosen von den Dämonen befreit. Das war nämlich seine Aufgabe: Groß Schwanzlos im Kampf gegen die Dämonen beizustehen.
    Das bedeutete zwar, dass er nie mehr zu seinem Rudel im Gebirge zurückkehrte, aber das war nicht so schlimm, denn dafür war er ja wieder mit seinem vorigen Rudelgefährten vereint. Wenn Groß Schwanzlos doch bloß nicht so traurig wäre!
    Um ihn zu trösten, schmiegte sich Wolf fest an ihn und rieb ihm seine Witterung ins Fell.
    Groß Schwanzlos wandte den Kopf und fragte: Weißt du, wer ich bin?
    Mein Rudelgefährte , erwiderte Wolf verdutzt.
    Aber weißt du, was es mit mir auf sich hat? Was ich alles vermag?
    Klar weiß ich das , antwortete Wolf ein bisschen ungeduldig. Das hatte er
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