Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)
Autoren: Michelle Paver
Vom Netzwerk:
Axt!
    »Nein!«, flüsterte Torak heiser. »Wenn du sie verwundest, bringt sie uns beide um!«
    Der Jäger löste die Waffe vom Gürtel.
    Torak überlegte fieberhaft. Wenn der andere traf, würde das mächtige Tier sie in seiner Raserei beide töten. Schreckte er die Kuh dagegen nur auf, würde sie es vielleicht bei einem Scheinangriff belassen und sich mit ihrem Kalb davonmachen. Das hieß, er musste sie rasch aufscheuchen, damit sie nicht getroffen wurde.
    Torak holte tief Luft, sprang in die Höhe, wedelte mit den Armen und brüllte: »Hierher! Hierher!«
    Er hatte Erfolg – zumindest, was das Aufscheuchen betraf. Die Kuh ging unter wütendem Gebrüll auf ihn los. Dort, wo sie eben noch gestanden hatte, bohrte sich die Axt in den Schlamm. Das Vieh platschte durch den Fluss auf Torak zu, der schleunigst hinter einer Eiche Deckung suchte.
    Er schaffte es nicht mehr, auf den Baum zu klettern, denn schon hörte er das Tier grunzend die Uferböschung hochstampfen, spürte schon seinen heißen Atem …
    Im letzten Augenblick machte die Kuh mit zuckendem Schwanz kehrt und preschte in den Wald. Das Kalb galoppierte hinterdrein.
    Die Stille war betäubend.
    Torak lehnte sich Halt suchend an den Baum. Der Schweiß rann ihm übers Gesicht.
    Der fremde Jäger stand schwankend und mit gesenktem Kopf da.
    »Warum hast du das getan?«, keuchte Torak. »Wolltest du uns umbringen?«
    Keine Antwort. Der Mann torkelte zum Fluss hinunter, sammelte seine Äxte auf, schob sie wieder in den Gürtel und kam zurückgewankt. Sein Gesicht konnte Torak immer noch nicht erkennen, doch das Messer mit der gezackten Schieferklinge und die kräftige Statur des anderen entgingen ihm nicht. Wenn es zum Kampf käme, würde er unterliegen. Schließlich war er noch ein Kind, nicht mal dreizehn Sommer alt.
    Auf einmal suchte der Fremde an einer Buche Halt und übergab sich.
    Torak vergaß alle Vorsicht und lief hin, um ihm beizustehen.
    Der Mann kniete auf allen vieren und spie gelben Schleim. Dann machte er einen Buckel, ein krampfhafter Schauder überlief ihn und er würgte etwas Schwarzes, Glitschiges von der Größe einer Kinderfaust aus. Es sah aus wie … wie ein Knäuel Haare .
    Ein Windstoß fuhr in das Geäst, ein Sonnenstrahl fiel auf das Gesicht des Fremden und Torak konnte ihn zum ersten Mal richtig sehen.
    Dort, wo sich der Kranke ganze Büschel Kopf- und Barthaar ausgerissen hatte, waren wunde, nässende Stellen zurückgeblieben. Sein Gesicht war mit dicken Schorfkrusten übersät, die an die Wucherungen auf kranken Birken erinnerten. Als er die letzten Haarbüschel auswürgte, hörte man in seiner Kehle den Schleim rasseln. Er hockte sich auf die Fersen und kratzte sich den mit Pusteln bedeckten Arm.
    Torak wich langsam zurück und tastete nach dem Clanabzeichen an seinem Wams, ein Streifen Wolfsfell. Was in aller Welt war dem Fremden zugestoßen?
    Renn hätte es bestimmt gewusst. »Fieber bekommt man am ehesten im Mittsommer«, hatte sie ihm einmal erklärt, »da können die krank machenden Würmer ungestört ihr Werk verrichten. Sie kommen in den weißen Nächten, in denen die Sonne nicht schlafen geht, aus den Sümpfen gekrochen.« Aber wenn das ein Fieber war, dann eines, das Torak nicht kannte.
    Wie konnte er dem Mann bloß Linderung verschaffen? In seinem Medizinbeutel hatte er nur ein paar Huflattichblätter. »Warte, ich helfe dir«, sagte er mit bebender Stimme. »Ich habe … Nein, nicht! Du tust dir ja weh!«
    Doch der Mann kratzte immer weiter und bleckte dabei die Zähne, als sei der Juckreiz so unerträglich, dass ihm richtige Schmerzen lieber waren. Dann grub er die Nägel unvermittelt so tief in die Pusteln, dass es blutete.
    »Nein, nicht!«, rief Torak.
    Knurrend stürzte sich der Mann auf den Jungen und warf ihn zu Boden.
    Torak blickte zu dem verschorften Gesicht auf, sah in ein trübes, eiterverklebtes Augenpaar. »Tu mir… nichts«, keuchte er. »Ich … heiße Torak. Ich … gehöre zum Wolfsclan. Ich …«
    Der Mann beugte sich zu ihm herunter. »Sie… sie kommt« , zischte er und hüllte den Jungen in seinen fauligen Atem.
    Torak schluckte mühsam. »Wer… wer denn?«
    Das schwärenbedeckte Gesicht verzerrte sich furchtsam. »Merkst du’s denn nicht?«, flüsterte der Mann. » Sie kommt! Bald holt sie uns alle!«
    Er kam taumelnd wieder auf die Beine und blinzelte in die Sonne. Dann stürmte er durchs Unterholz davon, als wären ihm sämtliche Dämonen der Anderen Welt auf den Fersen.
    Torak stützte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher