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Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)
Autoren: Michelle Paver
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der Hütte und Toraks Herz machte vor Erleichterung einen Satz. Oslak würde Rat wissen.
    Zu seiner Verwunderung hörte Oslak kaum hin, als Torak lossprudelte. Er schien ganz darin vertieft, die Klinge seines Fischspeers mit einer neuen Sehne zu befestigen. »Du meinst also, der Mann gehörte zum Eberclan …«, brummte er stirnrunzelnd und kratzte sich den Handrücken. »Na, dann wird sich deren Schamane schon um ihn kümmern. Nimm!« Er warf Torak den Speer zu. »Geh runter zu den Trittsteinen und zeig mal, wie du dich beim Lachsefangen anstellst.«
    »Aber Oslak…«, protestierte Torak verwirrt.
    »Na los, geh schon!«, blaffte Oslak.
    Torak zuckte zusammen. Es sah Oslak gar nicht ähnlich, so ärgerlich zu werden. Eigentlich hatte er ihn überhaupt noch nie so erlebt. Oslak war ein hünenhafter, freundlicher Mann mit struppigem Bart. Sein Gesicht jagte einem auf den ersten Blick einen Schrecken ein, denn er hatte bei einer Meinungsverschiedenheit mit einem Vielfraß ein Ohr und ein Stück Wange eingebüßt. Es war typisch für ihn, dass er nicht dem Vielfraß die Schuld gab. »Ich war selber schuld«, erwiderte er auf Nachfragen. »Ich habe ihn gestört.«
    So viel zu Oslak. Seine Gefährtin Vedna und er hatten Torak einen Platz in ihrer Hütte angeboten, als er zu den Raben gestoßen war, und waren immer freundlich zu ihm gewesen. Andererseits war Oslak der stärkste Mann der ganzen Sippe, darum sträubte sich Torak nicht länger und bückte sich nach dem Speer.
    Dabei fiel sein Blick auf Oslaks Hand und er erschrak. Oslaks Handrücken war voller Pusteln.
    »Was … was hast du da an der Hand?«
    »Mückenstiche«, entgegnete der Hüne und kratzte sich heftig. »So üble hatte ich noch nie. Hab die ganze Nacht wach gelegen.«
    »Es sieht gar nicht nach Mückenstichen aus. Tut… tut es weh?«
    Oslak kratzte sich immer noch. »Komisch. Fühlt sich an, als ob meine Namensseele entweicht, aber das ist Einbildung, oder?« Er blinzelte, als schmerzte ihn das Licht in den Augen, und sah aus wie ein verängstigtes Kind.
    Torak schluckte. »Ich glaube nicht, dass die Namensseele den Körper durch eine Wunde verlässt. Das geht nur durch den Mund, wenn man träumt … oder wenn man sich übergeben muss.« Er stockte. »Ist dir übel?«
    »Übel? Wieso soll mir übel sein?« Ein Beben überlief den großen Mann. »Trotzdem wollen meine Seelen entweichen.«
    Torak packte den Speer fester. »Ich hole Saeunn!«
    Oslak machte ein finsteres Gesicht. »Ich brauche keine Saeunn! Geh jetzt!« Mit einem Mal war er ganz verändert. Er baute sich mit geballten Fäusten drohend vor Torak auf.
    Dann schien er wieder zur Besinnung zu kommen. »Lass mich einfach in Ruhe, ja? Und jetzt ab. Thull wartet schon.«
    »Ist gut«, erwiderte Torak mit gezwungener Gelassenheit.
    Auf halbem Weg zum Fluss drehte er sich noch einmal um.
    Oslak kratzte sich immer noch. »Sie entweicht!«, brummelte er. Als er zu seiner Hütte ging, sah Torak, dass er hinterm Ohr eine wunde Stelle hatte, wo er sich ein Büschel Haare ausgerissen hatte. Die Stelle war mit honiggelbem Schorf bedeckt.
    Torak lief es eiskalt über den Rücken.
    Er rannte zum Fluss hinunter, wo Oslaks jüngerer Bruder auf den Steinen hockte und sein Messer säuberte. »Thull!«, rief er, »ich glaube, Oslak ist krank!«
    Atemlos erzählte er, was ihn beunruhigte, aber Thull blieb gleichmütig. »Das sind bloß Mückenstiche, Torak. Die hat er jeden Sommer, es macht ihn ganz verrückt.«
    »Das waren keine Mücken.«
    »Jedenfalls geht es ihm wieder gut.« Thull deutete auf den Weidensteg.
    Tatsächlich, da kauerte Oslak und an seinem Speer zappelte ein Lachs.
    Torak biss sich auf die Unterlippe und sah sich noch einmal um. Alles schien wie immer. Kinder spielten mit den glitzernden Fischschuppen, übermütige Halbstarke ärgerten die Hunde und zwickten sie in die Schwänze. Thulls Sohn, der fünf Sommer alte Dari, planschte im seichten Wasser und spielte mit dem Auerochsenfigürchen, das ihm Oslak aus einem Kiefernzapfen geschnitzt hatte.
    Böses ahnend watete Torak mit seinem Speer ins Wasser.
    Die Trittsteine waren vier flache Felsbrocken zwischen dem Steg und den Stromschnellen. Die Anfänger lernten darauf balancieren. Thull zeigte auf den ersten Stein, aber Torak kletterte vorsichtig bis zum vierten, der mitten im Fluss und ein Stück flussabwärts vom Steg und von Oslak lag. Wozu, war ihm selbst nicht klar, er hatte nur das Gefühl, Oslak im Auge behalten zu sollen.
    »Du musst
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