Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)
Autoren: Michelle Paver
Vom Netzwerk:
orangefarbenen Glotzaugen wie Zwillingssonnen.
    Mit einem Schrei sprang Torak auf.
    Das Rentier ergriff die Flucht.
    Wolf stürmte hinterher.
    Renns Pfeil streifte im Flug Toraks Kapuze.
    Die Adlereule breitete die mächtigen Schwingen aus und flog geräuschlos davon.
    »Was soll das?«, rief Renn wütend. »Wieso stehst du plötzlich auf? Beinahe hätte ich dich umgebracht!«
    Torak gab keine Antwort. Er blickte dem großen Vogel nach, der sich in den strahlend blauen Mittagshimmel emporschwang. Aber Adlereulen jagen doch nur nachts, dachte er.
    Wolf kam angesprungen und bremste schlitternd, schüttelte sich den Schnee aus dem Pelz und wedelte eifrig mit dem Schwanz. Er hatte nicht damit gerechnet, das flüchtende Rentier zu erwischen, aber die Verfolgung hatte ihm einen Riesenspaß gemacht.
    Als er Toraks Beklommenheit spürte, rieb er sich an dessen Bein. Torak kniete sich hin, vergrub das Gesicht in Wolfs dichtem, rauem Nackenfell und atmete den vertrauten Süßgrasduft ein.
    »Was hast du?«, fragte Renn.
    Torak hob den Kopf. »Die Eule. Was denn sonst?«
    »Welche Eule?«
    »Die musst du doch gesehen haben! Eine Adlereule. Sie saß direkt über mir. Ich hätte sie beinahe anfassen können!«
    Da ihn Renn immer noch verständnislos anblickte, stapfte Torak bergauf und holte die Feder. »Hier!«, schnaufte er.
    Wolf legte die Ohren an und knurrte leise.
    Renn griff nach dem Büschel Rabenfedern auf ihrer Brust, ihrem Clanabzeichen.
    »Was hat das zu bedeuten?«, fragte Torak.
    »Keine Ahnung, aber bestimmt nichts Gutes. Lass uns umkehren. Fin-Kedinn weiß bestimmt Rat. Und, Torak …« Renn betrachtete die Feder argwöhnisch. »Lass die Feder hier.«
    Als Torak die Feder in den Schnee fallen ließ, bereute er es, sie mit der bloßen Hand angefasst zu haben. Auf seiner Handfläche blieb ein feines graues Pulver zurück. Er wischte sich die Hand an der Jacke ab, aber ein schwacher Verwesungsgeruch blieb an seinen Fingern haften, der ihn an die Schädelstätte des Rabenclans denken ließ.
    Da knurrte Wolf plötzlich und spitzte die Ohren.
    »Hat er etwas gewittert?«, erkundigte sich Renn. Sie konnte sich zwar nicht mit Wolf unterhalten, aber sie kannte ihn inzwischen recht gut.
    Torak runzelte die Stirn. »Keine Ahnung.« Wolf hatte den Schwanz steil aufgestellt, aber er benahm sich anders als sonst, wenn er etwas Jagdbares witterte.
    Fremde Beute , teilte er Torak mit. Offenbar war auch er verunsichert.
    Torak spürte auf einmal ganz deutlich, dass Gefahr drohte. »Wuff!«, bellte er. Bleib hier!
    Aber Wolf war schon auf und davon und rannte mit langen Sprüngen den Hang hoch.
    »Nein!«, rief Torak und hastete hinterher.
    »Was ist los?«, rief Renn. »Was hat er gesagt?«
    »Fremde Beute!«
    Mit wachsender Sorge sah Torak Wolf die Anhöhe erklimmen und sich oben nach ihnen umdrehen. Er bot einen prächtigen Anblick. Sein dicker Winterpelz war grauschwarz gestromert mit fuchsroten Stellen, der buschige Schwanz vor Jagdlust ganz steif. Komm mit, Rudelgefährte ! Fremde Beute!
    Weg war er.
    Torak und Renn liefen hinterher, aber sie waren mit Tragen und Schlafsäcken beladen, und der Schnee war so tief, dass sie ihre aus Weidenruten geflochtenen Schneeschuhe anziehen mussten, was sie zusätzlich behinderte. Als sie oben auf der Anhöhe standen, war Wolf nirgends zu sehen.
    »Bestimmt wartet er irgendwo auf uns«, sagte Renn mit gespielter Zuversicht und deutete auf ein Espengehölz. »Wenn wir da unten sind, kommt er angestürmt.«
    Torak beruhigte sich ein wenig. Erst am Vortag hatte sich Wolf hinter einem Wacholderbusch versteckt, war unvermutet hervorgesprungen und hatte Torak in eine Schneewehe geworfen, ihn angeknurrt und spielerisch nach ihm geschnappt, bis sich Torak vor Lachen gekugelt hatte.
    Aber als sie das Gehölz betraten, kam kein Wolf angestürmt.
    Torak stieß zwei kurze Kläfflaute aus. Wo bist du?
    Keine Antwort.
    Wolfs Pfotenabdrücke waren deutlich zu erkennen. In dieser Gegend gingen etliche Sippen mit ihren Hunden auf die Jagd, aber Wolfsspuren sind unverwechselbar. Ein Hund läuft kreuz und quer, weil er darauf vertraut, dass sein Herr ihn füttert, ein Wolf dagegen ist zielstrebig, denn wenn er keine Beute reißt, verhungert er. Obwohl Wolf die letzten sieben Monde bei Torak und dem Rabenclan verbracht hatte, war Torak nicht in Versuchung geraten, ihn zu füttern. Er wollte nicht riskieren, Wolfs Jagdinstinkt abzustumpfen.
    Es wurde später Nachmittag, und Renn und Torak folgten immer noch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher