Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Chill mal, Frau Freitag

Titel: Chill mal, Frau Freitag
Autoren: Frau Freitag
Vom Netzwerk:
kann auch hart und gemein sein. Aber nennen wir’s doch einfach KONSEQUENT!
    Okay, hier also die ganze Geschichte: Ich habe den Bus storniert, aber erst, als ich erfahren habe, dass es in der Klasse von Frau Kriechbaum nur zehn interessierte Schüler gab, von denen keiner Geld mithatte. Ich hätte dem Busunternehmen am Donnerstag fest zusagen müssen, aber ich will doch nicht auf tausend Euro sitzen bleiben. Das war mir einfach zu heikel.
    Aber ich bin nicht völlig herzlos, denn ich spekuliere noch auf Plan B. Die Kollegen Anita und Willy haben ja auch einen Bus gechartert, und wer weiß, vielleicht können wir uns einfach bei denen dranhängen. Ich gehe also gleich zu Anita: »Duhuuu, sag mal, wann sollen deine Schüler eigentlich bezahlen?« Anita ist voll gestresst, weil bei uns so ganz nebenbei noch die Notenabgabe ansteht. Sie schaut auf und sagt: »Äh, heute.«
    »Und wie viele haben schon gezahlt?«
    »Keiner.«
    Bei Willy das Gleiche. Er meint, dass seine gesamte Klasse mitkomme und ganz bestimmt alle noch bezahlen. Es wäre nicht verwunderlich, wenn in ihren Klassen jeweils nur die Hälfte bezahlen würde. Und dann komme ich und fülle die leeren Sitzplätze mit meinen zahlenden Schülern. So weit der herrliche Plan.
    Einen Tag später dann die herbe Ernüchterung. Bei Anita haben schon sechzehn Schüler bezahlt, bei Willy achtzehn. Mist, jetzt passt meine Klasse nicht mehr mit in den Bus. Ich bettele: »Willy, guck mal, wir MÜSSEN auch Heidepark gehen. Könntest du versuchen einen größeren Bus zu bekommen?«
    Während Willy telefoniert, sitze ich neben dem Telefon und bete. Nach der zweiten großen Pause erfahre ich endlich, dass es einen größeren Bus für uns gibt – größer, aber trotzdem nur mit 72 Plätzen. Ich werde also wahrscheinlich gar nicht alle Schüler mitnehmen können, die bezahlt haben. Ich muss eine Schindler-Liste erstellen. Als Erster würde Abdul raus fliegen, der hat bisher immer noch nicht bezahlt und kann die 40 Euro dann ja in Gold anlegen.
    Außerdem würde ich Mehmet streichen, weil ich ihn seit der Geldübergabe nicht mehr gesehen habe. Nein, ich habe ihn gesehen, am Freitag. Vor der Schule. Rauchend.
    »Sag mal, Mehmet, was soll denn die Scheiße jetzt?« Ich war echt sauer, und wenn ich sauer bin, dann habe ich manchmal ein leichtes Tourette-Syndrom. »Du hast gesagt, du gehst mal kurz zur Geschichtslehrerin, und dann tauchst du gar nicht mehr auf. Den ganzen Tag nicht!« Mehmet stammelte, überlegte. Man sah Dampfwolken aus seinem Kopf aufsteigen.
    »Ich war, ich war …« Er guckte zu seinem Freund Mustafa, der mit einem Zettel neben ihm stand. »Ich war OSZ.«
    »Ach ja? Wo denn?«
    »Na, OSZ.« Als gäbe es nur ein Oberstufenzentrum in ganz Deutschland. »Wo war das denn genau?« Mehmet nahm den Zettel von Mustafa und suchte nach einer Adresse. Ich hatte die Faxen dicke: »Ach, lass, Mehmet, verarschen kann ich mich alleine.«
    Der kommt jedenfalls nicht mit. Dann werde ich noch die Schüler bestrafen, die nicht am Donnerstag, sondern erst später bezahlt haben, ganz nach dem Motto: »Was soll sein, morgen ist doch auch noch ein Tag!« Ich werde denen schon noch die deutschen Tugenden beibringen!
    Um zwei Uhr nachts wache ich auf und überlege, ob ich überhaupt fahren soll. Ich hätte die einmalige Chance, alle vermissten Bücher bezahlt zu bekommen, denn ich habe ja fast von jedem Schüler 40 Euro. Jedes Jahr heißt es: »Ich schwöre, ich hab mein Buch hier bei Sie gelassen. Ich zahl das nicht!« – »Ich hab keins bekommen!« – »Frau Freitag, Sie haben es geklaut!«. Dass sie dann nur eine Kopie von ihrem Zeugnis erhalten, juckt die Schüler wenig. Wenn ich ihnen 20 Euro abziehe und sie nicht mit in den Heidepark dürfen, weil sie mir wahrscheinlich nicht noch mal 20 Euro mitbringen können, das würde sie alle ziemlich jucken.
    Am Montag knüpfe ich die Buchabgabe als Bedingung an die Mitfahrt in den Heidepark. Als Lehrer hat man selten eine so wirksame Möglichkeit der Erpressung, das muss man richtig auskosten. Die zwei Euro zusätzlich werde ich auch noch einsammeln. Was man hat, hat man. Falls wir das Geld dann doch nicht brauchen, kann ich es im Bus zurückgeben.
    In meiner nächsten Klasse werde ich gleich am Anfang Geld für eine Klassenfahrt einsammeln und davon dann in den folgenden Jahren die verschollenen Schulbücher bezahlen. Oder ich gebe die nur gegen Pfand raus. Ich glaube, so was nennt man fächerübergreifendes Lernen. Und ich find’s
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher