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Chill mal, Frau Freitag

Titel: Chill mal, Frau Freitag
Autoren: Frau Freitag
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wenn er nebenan beim Kollegen ist: »Wie geht’s, Frau Freitag? Alles klar?«
    Der Lieblingsschüler setzt sich direkt vor meine Nase. Wie früher. So haben wir ein ganzes Schuljahr verbracht. Er zeichnet irgendwelche stupiden Aufgaben, und wir unterhalten uns über Gott und die Welt. Was die Schüler bei meinem Kollegen gerade machen, erschließt sich mir nicht, denn alle zeichnen etwas anderes. Der Lieblingsschüler sitzt vor einem DIN-A3Blatt und schreibt mit Edding in perfekter Graffitischrift FRAU FREITAG. Schön in 3D und mit liebevollen Verzierungen. Dabei quatschen wir rum, der Kollege sitzt neben mir, und wir reden eine Weile über die Schüler. Irgendwie wird diese Stunde immer besser. Unser sinnloses Rumgelabere genieße ich noch mehr als die perfekte Stille. Als es klingelt, überreicht mir der Lieblingsschüler sein Werk: »Mach ich irgendwann fertig.« Ja, denke ich, mach mal. Eigentlich könnte das mit dem Reizgas jede Woche passieren. Wenn jeder Schultag so wie dieser wäre, ich würde glatt auf mein Gehalt verzichten!
    Voodoo
    »Weißt du eigentlich, dass ich immer Voodoo mit dir mache?«, fragt der Freund, während er Frau Dienstag und mir herrlichste Butterbrote für unseren bevorstehenden Wochenendtrip schmiert. Ich trinke hektisch meinen Kaffee, rauche und lausche meinem Ohrwurm: »Klamotten raussuchen, Waschzeug, Fön nicht vergessen, Geld, Geschenk einpacken, Klamotten raussuchen, Waschzeug, Fön nicht vergessen …«
    »Wie? Was für Voodoo?« Der Freund packt unseren Proviant in Frühstücksbeutel und verschließt sie mit den alten Verschlüssen von Toastpackungen. Er sammelt alle Verschlüsse in einer Dose. Die ist bis zum Rand gefüllt. Immer. Die wird gar nicht leerer. Wir essen auch viel Toast.
    Seit ich in der Schule arbeite, habe ich die schönste Pflege-stufe 5. Ich mache Schmutz, der Freund putzt. Ich liege auf der Couch, der Freund kocht. Und ich weiß nicht wieso, aber jeden Morgen, wenn ich den Kühlschrank aufmache, lachen mich zwei Tüten mit leckeren Schulbroten an. So viel Luxus habe ich nicht mal als Kind genossen. Als Baby vielleicht, aber ich kann mich gut daran erinnern, dass es später mein Job war, das Bad zu putzen, und in meiner eigenen Schulzeit gab es auch keine Schulbrote. Wir ernährten uns von einer Tüte Chips, einer Dose Cola und zweimal die Woche gab es Altgebäck zum halben Preis. Damit haben diese Gourmethappen, die ich täglich verschlinge, nicht das Geringste zu tun. Wenn man ausgehungert aus einer Doppelstunde mit einer fiesen 7. Klasse kommt, dann schmecken die Brote vom Freund wie das beste Essen der Welt.
    »Ja, Voodoo«, sagt der Freund. »Montags mache ich dir immer blaue Verschlüsse um die Tüten. Weil Blau beruhigend wirken soll. Dienstags gelbe, weil da ein leichter Tag ist, und am Ende der Woche rote, damit du noch mal Kraft hast für den letzten Schultag.«
    Ich bin baff. Er gibt sich so viel Mühe mit der Farbauswahl, und ich reiße die Tüten einfach auf, inhaliere den Inhalt und schmeiße die bunten Voodoo-Dinger in den Müll.
    »Ist ja total süß von dir«, säusele ich. Der erste nette Satz, den ich seit dem Betreten der Wohnung gesagt habe. »Aber warum hast du denn jetzt graue Verschlüsse genommen?«
    »Weil du mich eben so angeranzt hast«, antwortet der Freund etwas säuerlich. Ich falle auf die Knie und entschuldige mich von ganzem Herzen.
    Wer ist Oslo?
    »Frau Freitag, haben Sie geguckt Eurovision am Samstag?«
    »Ja.«
    »Haben Sie gesehen, diese Lena hat gewonnen.«
    »Mehmet, ich hab doch gerade gesagt, dass ich das geguckt habe. Meinst du, ich hätte irgendwie versäumt mitzukriegen, wer da gewonnen hat?«
    Esma will auch was fragen: »Frau Freitag, wer ist eigentlich Oslo?«
    Von allen Seiten: »Oslo ist ein Land! Bist du bescheuert, Esma!«
    Ich: »Land?!«
    Dann Ronnie (er verdient eigentlich jetzt schon den Nobelpreis in der Kategorie Wissen): »Oslo ist eine Stadt in Norwegen. Oslo ist sogar die Hauptstadt.«
    Nachdem wir das geklärt haben, machen wir Unterricht.
    Merves Tasche kommt mir so klein vor. Ich gehe zu ihrem Tisch, nehme die Tasche und öffne sie trotz allen Protestes: »Hey, das dürfen Sie nicht!« – »Dürfen Sie das?« – »Hallo, Privatsphäre?!«
    Merve belastet ihr Täschchen nicht mit schulischem Firlefanz. Da ist weder ein Block noch ein Hefter noch ein Buch drin. Nicht mal Schreibzeug, es sei denn, sie schreibt mit Kajal.
    Ich bin entsetzt: »Merve! Was ist das? Weiß deine Mutter, wie es in deiner
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