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Chill mal, Frau Freitag

Titel: Chill mal, Frau Freitag
Autoren: Frau Freitag
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ich bin mir sicher, sie würde sich alleine nie trauen, die Nummer anzurufen. Leicht ratlos sitzen wir in der Küche. Der Physiklehrer hält immer noch sein Handy in der Hand.
    Plötzlich habe ich eine super Idee: »Lass mal Schüler anrufen!« Alle sind total begeistert. Es ist zwei Uhr nachts. Der Deutschlehrer fragt: »Aber wen? Wessen Schüler?«
    Außer mir hat ja niemand die Nummern seiner Schüler dabei, ich trage die auch nicht dauernd mit mir rum, aber wir sind ja in meiner Wohnung.
    Plötzlich ruft Fräulein Krise triumphierend: »Wir rufen Hassan an! Die Nummer kenne ich auswendig. Ich telefoniere täg lich mit seiner Mutter.«
    Gesagt, getan. Zehn Lehrerköpfe beugen sich über das Handy. Es tutet. Nach 20 Sekunden nimmt jemand ab. Eine müde Stimme sagt: »Ja?«
    Und plötzlich schreit Fräulein Krise los: »Arschlochkind! Arschlochkind! Arschlochkind!«
    Mieser Absturz
    Schüler kennen nur Picasso. Und wenn sie nicht Picasso werden können, dann lohnt sich das mit dem Künstlerleben auch nicht.
    »Man kriegt doch kein Geld von Luft«, sagt Erol.
    »Künstler sein ist doch auch scheiße, oder Frau Freitag?«
    »Keine Ahnung, ich bin ja nicht Künstler, ich bin ja Kunstlehrerin. Aber wieso soll das scheiße sein?«
    »Weil, irgendwann hat man keine Ideen mehr.«
    »Wieso sollte man denn keine Ideen mehr haben?«
    »Na, wenn man alles schon gemacht hat.« Für meine Schüler würde dieser Zustand ziemlich schnell kommen, sitzen sie doch täglich ideenlos in meinem Unterricht. Und wenn sie mal eine Idee hatten, dann kann es Jahre dauern, bis da wieder eine nachwächst.
    Erol lässt das Thema keine Ruhe: »Oder man hat miese Absturz.«
    Komische Idee haben die vom Künstlerleben.
    Ömer sagt: »Ich muss mich nicht bewerben, ich kann bei mein Onkel oder mein Vater arbeiten.« Wir diskutieren die Vor-und Nachteile von: Dein Vater ist nicht nur dein Vater, sondern auch dein Chef. Ich ziehe die Ehrenkarte: »Also, ich fänd es furchtbar, wenn der Schulleiter mein Vater wäre.«
    Ömer: »Wieso, dann haben Sie immer viele Freistunden.«
    »Aber das ist doch total peinlich, wenn mein Vater auch mein Chef ist«, gebe ich zu bedenken. »Dann hätte ich doch immer das Gefühl, dass ich gar nichts alleine auf die Reihe gekriegt habe.«
    Ömer denkt kurz nach und sagt unvermittelt: »Ich verdiene mehr als Sie.«
    »Wieso, wie viel verdienst du denn?«
    »Na, alles, was mein Vater verdient.«
    »Wieso, Ömer, bist du denn dein eigener Vater?« Ich verstehe schon, was er meint, aber langsam wird mir diese Angeberei zu blöde: »Ist doch voll peinlich, wenn du dein Leben lang deinen Vater nach Geld fragen musst.«
    Ömer schmollt ein wenig: »Nö. Wieso?«
    »Ach, Ömer, mal dein Bild zu Ende und werde mal erwachsen.«
    Perfekter Unterricht
    Der Stundenplangott meinte es dieses Schuljahr gut mit mir. Meine Montage sind die Hölle, aber von Dienstag bis Freitag ist alles schön. Gestern hatte ich herrliche Stunden. Nachdem ich ausgeschlafen in die Schule tanzte, erwarteten mich eine Handvoll halb erwachsene Schüler, die bereitwillig meine lahme Aufgabe bearbeiteten: Beschreibt und vergleicht diese Bilder. Sie sitzen stumm da und schreiben, während ich organisatorischen Bürokram – Listen, Zettel, Formulare – erledige. Diese Art von Unterricht ist überhaupt nicht anstrengend und kommt dem Lehrersein an Gymnasiumschulen wahrscheinlich recht nahe. Das kann ich aber auch nur vermuten – ich war selbst auf einer Gesamtschule und kenne nicht einen Gymnasiallehrer. Wenn niemand in einer Lerngruppe motiviert oder zur Ruhe angehalten werden muss, dann fühle ich mich immer wie Felix Krull – inklusive schlechtem Gewissen, dass ich für dieses Eierschaukeln auch noch Geld bekomme.
    Jedenfalls ist alles tutti. Ich labe mich am Zustand extremer Zufriedenheit und bin so glücklich, dass ich kurz davor bin, meinen Körper zu verlassen, da höre ich auf dem Gang ein tumultartiges Durcheinander, jemand schreit und immer wieder erklingt mein Name. Plötzlich geht die Tür auf und der Kollege von nebenan kommt rein: »Frau Freitag, in meinem Raum wurde mit Reizgas gesprüht, jetzt können wir da nicht mehr drin arbeiten.«
    »Kommt doch zu mir«, sage ich. »Ihr könnt hier Asyl haben, kein Problem.« Sofort ist es mit der herrlichen Stille vorbei, als die etwa zwanzig Schüler in den Raum poltern. Unter ihnen ist auch der Lieblingsschüler, den ich leider dieses Jahr überhaupt nicht mehr unterrichte. Er kommt mich immer besuchen,
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