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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen
Autoren: Peter Carey
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nennen würden. Die Ladefläche ist rau und massiv. Darauf festgeschraubt ist ein würfelförmiges Gebilde ohne Deckel, und darin steckt das Boot, das die Kreatur enthält. Das gesamte Uhrwerk ist im Rumpf untergebracht, säuberlich eingepasst, bereit für die Antriebskurbel, für die blau geflieste Zisterne, die dich so lang gequält hat und nun ein Quell stetiger Freunde für dich sein wird.
    Vorläufig aber ist es noch in Deutschland, und der gesamte Mechanismus steckt im Boot, und das Boot ist in einer Kiste, fest umpackt mit Erde, Steinen und Rasensoden, und ich vermute mal, ein armer deutscher Regenwurm wird nun versehentlich ins Exil nach Low Hall gelangen, wo er englische Regenwürmer kennenlernt, doch wird es ihm vermutlich weit besser ergehen, als es deinem armen Papa in diesem fremden Land ergangen ist, wo ich mich allzu oft zum Gespött gemacht habe. Die englischen Würmer, da bin ich mir gewiss, werden überaus höflich und gastfreundlich zum Fremden sein.
    Es ist spät am Abend, aber das ganze Dorf ist noch wach, bimmelt mit Glocken und lässt Peitschen knallen. Der Märchensammler sagte, man feiere ein Fest, Fasching genannt. Der eigentliche Grund aber ist wohl, dass der Uhrmacher die Dörfler durch seinen mangelnden Glauben an Jesus Christus beleidigt hat. Ich kann es den Christen nicht vorwerfen. Daheim wären wir ebenso beleidigt gewesen, wenn auch hoffentlich nicht derart, dass wir Puppen verbrennen und Bäume im Wald in Brand setzen würden.
    Es soll einen Baron geben, wurde mir gesagt, doch sah ich in all dem Aufruhr keinerlei Anzeichen dafür, dass ihm an einem ordentlichen Benehmen seiner Untergebenen gelegen ist. Es wird mir nicht leidtun, von hier fortzugehen, und wenn es denn heute Abend sein soll, dann lieber so rasch wie möglich. Stell dir deinen Papa vor, wie er auf dem Pferde neben der herrlichen Kreatur herreitet, wie er durch den Wald galoppiert, in dem im Dunkeln Fackeln leuchten, wie er all die Sticheleien und Gemeinheiten hinter sich lässt, allein deiner herrlichen Gesundheit entgegen.
    Sie verbrennen die Hexe. Ich habe es gesehen. Sie war nur aus Stroh, trotzdem ein beängstigender Anblick.
    Bald wirst du in Low Hall dieses Wunder sehen – und dein Haar wird dir zu Berge stehen, dein Blut wird rasen. Heiliger Cygnus. Salzige Tränen und blank poliertes Silber. Mein Gott, du wirst die große Kreatur sehen, wie sie sich einen silbernen Fisch schnappt, den Kopf reckt und den komplizierten Schwanentanz des Schluckens absolviert.
    Da, ich habe es dir gestanden. Es ist ein Schwan.
    Mein lieber Percy, eigentlich wollte ich keinen Schwan. Und trotz meiner Worte wollte ich nie meinen Platz an deiner Seite verlassen. Ich wollte nichts anderes, mein lieber Junge, als dich gesund sehen.
    Lieber Gott, mach, dass er noch lebt und auf mich wartet. Herr im Himmel, ich bitte dich, errette ihn. Gewähre mir Zutritt und lasse mich vor deinen Augen Gnade finden.

Catherine
    Die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit und die Entwicklungsabteilung waren zufrieden. Der herrliche Schwan hatte seinen Platz gleich hinter dem prächtigen Eingangsportal am Lowndes Square gefunden. Er wurde auf BBC und CNN gezeigt, auf Bildschirmen, Servern und Podcasts überall auf der Welt. Eric lud mich zum Essen ins Ivy ein, in dem ich nie zuvor gewesen war. Der Maître machte viel Getue um Eric, und wir tranken einen köstlichen Chablis mit ausgeprägter Feuersteinnote, aßen Austern, redeten natürlich über Matthew, und ich weinte.
    Eric wusste gut damit umzugehen. Er sagte, dass von Gefühlen hervorgerufene Tränen sich chemisch anders zusammensetzen als etwa jene, die zur Befeuchtung des Augenapfels produziert werden. Meine kläglichen kleinen Taschentücher, sagte er, würden nun also ein Hormon enthalten, das auch beim Empfinden sexueller Befriedigung vorkommt, das Stress reduziert und zudem als natürliches, extrem wirksames Schmerzmittel gilt.
    »Und wie heißt das?«, fragte ich.
    »Leu-Enkephalin«, antwortete er lächelnd. Ich schrieb es auf.
    Das Leu-Enkephalin wirkte, und ich lachte, als Eric mir erzählte, wie er meinen Liebsten in seinen Club mitgenommen hatte, um ihm das Schwimmen beizubringen.
    Wir redeten nicht über Amandas ›Begeisterung‹, und ich fragte auch nicht, ob ihr Großvater zu den Anzugträgern und Geldsäcken gehört hatte, die zur Enthüllung des Schwans gekommen waren. Ich sprach bloß über jenes Gefühl von Ehrfurcht, das eine aufziehbare Maschine in Menschen wecken konnte, denen
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