Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen
Autoren: Peter Carey
Vom Netzwerk:
die Schweißflecken mit Wasserstoffperoxid entfernen können.
    Eine größere olfaktorische Herausforderung bot sich mir vor dem Pub, wo das Wasser über die Straße strömte. Keller waren überflutet. Eklig stinkendes Wasser blubberte über den Gullys der Kanalisation.
    Der alte Drogist hatte die Türen geöffnet, und ich sah ihn flüchtig hoch oben auf einer gefährlichen Leiter stehen. Er hatte durchweichte Kartons auf die Straße geworfen, aus denen Schwefeldioxid aufstieg, auch wenn es wie tags zuvor nach Ammoniak roch, was mich unwillkürlich an all die vielen angereicherten Schwefelverbindungen denken ließ, die mit dem menschlichen Verfall einhergehen. Ich dachte an Bakterien, an Pilze und Protozoa sowie daran, wie unsere Körper sich selbst zerstören, wenn wir sterben. Der Gedanke gefiel mir nicht, überhaupt nicht. Ich zog es vor, an etwas Trocknes und Krümliges zu denken, das keinerlei Bezug zum feuchten Schimmer unseres Verfalls hat.
    Die Security nahm sich meine dreckige Wäsche vor, die Schweine. In der Abzugskammer zog ich dann die Bluse aus, trug Wasserstoffperoxid auf und brachte den Job mit einem Haartrockner zu Ende. Erledigt. Frisch, na ja, nicht ganz.
    Amanda hatte sich nicht ausgeloggt. Ihr großer Mac-Bildschirm zeigte nur das Ölleck und die Kommentare von Protestlern. Waren das Kinder oder Erwachsene? Dessgirl, Mankind 40 , Miss Katz, Ardiva, Clozaril – wer blickte da durch? Ihre Meinungen zu lesen, das war, als lebte man in einem einzigen Geheul. War dies Amandas Unterwelt?
    Clozaril schrieb: Wer hat die Maschine gebaut, die das Meer killt? Welchen Interessen hat sie gedient? Jedenfalls nicht denen von uns Menschen, so viel steht fest. Ardiva glaubte, dass Flammen mit dem Öl austraten. Sheread 2 vermutete, ein Vulkan sei im Spiel. Uns wird längst nicht alles erzählt, schrieb sie. Mankind 40 fand, wir sollten das Leck einfach mit einer Atombombe schließen. Auch weiter unten, im letzten Kreis, hielten die Stimmen an, tönte der Chor der Verdammten fort. Ich ahnte nicht, welche Wirkung das auf mich hatte. Ich ahnte nicht einmal, dass all dies Salzwasser über meine Wangen rann, aber als Amanda ihre Arme um mich legte, mich von hinten umfasste, begann ich richtig zu weinen. Es war sinnlos, das verbergen zu wollen.
    »Es tut mir so leid, Miss Gehrig.«
    Ich nahm ihr sauberes weißes Taschentuch an, blies mir die verrotzte Nase und ging an meinen Computer, um die Arbeitsanweisungen für einen hektischen Tag zu schreiben.

3
    Natürlich waren die Leute von der Öffentlichkeitsarbeit von Anfang an in heller Aufregung angesichts unseres Projekts, und ich habe sie mit meinen Verschiebungen und Verzögerungen halb in den Wahnsinn getrieben. Sicher, sie müssen ihre Website rechtzeitig fertigmachen, aber schließlich sind sie selbst Museumsleute und wissen, dass die Fertigstellung meist länger dauert, als man es erwartet oder, ehrlicher gesagt, als sie es erwarten.
    Schließlich einigten wir uns darauf, den Schwan in zwei Etappen anzukündigen, einmal öffentlich, einmal eher privat. Die Restaurierung braucht nicht vollständig abgeschlossen zu sein, wenn wir ihn den ›Geldsäcken und Anzugträgern‹ zeigen, wie Eric sie so nett umschreibt.
    Von mir wird verlangt, ein ›sicheres Datum‹ mit dem Direktor für Öffentlichkeitsarbeit und seiner kratzbürstigen Website-Managerin zu vereinbaren, doch als der Tag anbricht, ist gar nichts sicher. Noch am Morgen des besagten Tages spielt die Musik weiter, obwohl der Bewegungszyklus des Schwans beendet ist.
    »Und? Ist das wichtig, meine Liebe? Denken Sie nach.«
    Wir hatten noch keine Generalprobe, was es für uns riskanter macht, als wir es auch nur in unseren Träumen befürchteten.
    »Wir kriegen das schon hin«, sage ich Eric. »Ich wollte Ihnen nur für alle Fälle Bescheid geben.«
    »Für alle Fälle?«
    »In einer halben Stunde ist der Fehler behoben.«
    Fünfundneunzig Minuten später rufe ich an, um ihm zu sagen, dass es erledigt ist. Ich habe Erics Nerven unnötig strapaziert, aber er schimpft nicht und beklagt sich nicht. Er fragt nur, ob ich bis zum Abend zwar nicht vollkommen fertig, aber doch fertig sein kann. Er ist bereit, den Termin jetzt noch abzusagen, falls ich ihm dazu rate, auch wenn er den Gedanken daran offensichtlich kaum erträgt.
    »Sagen Sie ihn nicht ab.«
    »Sind Sie sich ganz sicher, meine Liebe?«
    »Ja, ganz sicher.«
    »Wenn Sie mehr Zeit brauchen, rede ich mit denen von der Öffentlichkeitsarbeit.«
    Um halb vier
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher