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Charlie + Leo

Charlie + Leo

Titel: Charlie + Leo
Autoren: Jochen Till
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kann und noch eins, am besten jeden Tag eins un d …
    Hey, genau, das ist es! Ich schicke ihr eine ganze Geschichte! Eine Fortsetzungsgeschichte, einen kompletten Comic, jeden Tag ein Bild. Aber was für eine Geschichte? Etwas Lustiges auf jeden Fall. Ich will das schönste, schlechtgelaunteste Mädchen der Welt zum Lachen bringen. Oder wenigstens zum Schmunzeln.
    Aber es darf nicht nur lustig sein. Vielleicht eine Abenteuergeschichte? Fantasy? Da stehen doch alle drauf. Ist mir aber irgendwie zu langweilig. Ich kann echt keine Drachen und Elfen und Trolle und Zauberer und Vampire mehr sehen, das ist so was von ausgelutscht. Aber wenn Leo nun genau darauf steht? Eine Mischung vielleicht. Ein bisschen Abenteuer, ein wenig Fantasy und alles vermischt mit dem echten Leben. Aber ohne Drachen und Vampire auf jeden Fall, die gehen mir auf den Sack. Ja, das hört sich gut an. Und ich bin der Held. Nein, blöde Idee, ein Charlie Brown taugt einfach nicht zum Helden. Außerdem stehe ich sowieso nicht gern im Mittelpunkt. Im Hintergrund bin ich viel besser aufgehoben.
    Leo hingegen gehört ganz eindeutig in den Mittelpunkt, sie ist der Mittelpunkt. Also wird sie die Heldin. Keine klassische Heldin, schließlich ist Leo nicht wie alle anderen und trotzde m – oder vielleicht genau deswege n – ist sie doch das schönste Mädchen der Welt. Eine Prinzessin, sozusagen. Nein, falsch, eine Anti-Prinzessin! Nicht eine von diesen gelackten und ständig grinsenden Tussi-Prinzessinnen, sondern eine düstere, stets schlecht gelaunte und mürrische Prinzessin.
    Okay, Prinzessin Leonie König, dann werde ich dich jetzt mal zeichnend zum Leben erwecken. Zu blöd, dass ich kein Foto von ihr habe. Wobei, das brauche ich eigentlich gar nicht. Ich muss nur die Augen schließen und schon sehe ich sie in allen Einzelheiten vor mir. Da ist die rote Strähne, die über ihr linkes Auge fällt. Und die Sommersprosse, die einen Zentimeter über ihrem rechten Mundwinkel thront. Und das kleine, zerschlissene Loch im Aufschlag ihrer schwarzen Hose. Nein, ich werde nie ein Foto von ihr brauchen. Aber eine Zeichnung, also fange ich an.
    Eine knappe Stunde und etliche unbrauchbare Versuche später ist es so weit: Prinzessin Leonie König steht vor mir, beziehungsweise zweidimensional auf dem Blatt Papier, das vor mir liegt. Aber soll ich es ihr tatsächlich schicken? Bringe ich das echt fertig? Was, wenn es ihr nicht gefällt? Oder noch schlimmer: Was, wenn sie überhaupt nicht darauf reagiert? Das wäre, glaube ich, das Allerschlimmste. Dann schon lieber eine negative Reaktion. Aber am liebsten natürlich eine positive. Oh, du geheimnisvoller, unbekannter Zeichner, dein Bild ist sooooo toll, ich liebe dich, darf ich dich küssen? Das wäre eine Reaktion, mit der ich sehr gut leben könnte. Wenn ich wüsste, dass sie so reagiert, würde ich nicht eine Sekunde zögern und es ihr sofort schicken. Aber das ist dann doch eher unwahrscheinlich. Also, was mache ich?
    Schicken oder nicht schicken? Nur Mut, Charlie Brown! Okay. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt! Einmal tief durchatmen und los geht’s.
    Ich öffne eine neue E-Mail. Ich tippe Leos Adresse in die obere Zeile. Betreff? Soll ich da was reinschreiben? Wenn ich nichts reinschreibe, landet die Mail vielleicht in ihrem Spamordner und sie löscht sie einfach, ohne auch nur einen Blick hineinzuwerfen. Also, ein Betreff muss her. Einer, der sie neugierig macht. Achtung, nicht öffnen! Explosionsgefahr! Nein, das funktioniert wahrscheinlich nur bei Jungs. Die wunderbar schreckliche Geschichte von Leonie König. Ja, das ist gut, so weiß sie gleich, dass es um sie geht und kein Spam sein kann. Noch was? Nein, sonst schreibe ich einfach gar nichts, das Bild spricht ja für sich. Ich füge es in die Mail ein. So, das war’s. Noch einmal tief durchatmen.
    Ich bewege den Mauszeiger auf das Feld »Senden«. Ich zögere. Na los, mach schon, Charlie Brown! Na gut, okay, dann als o … Ach du Scheiße! Halt, stopp! Finger weg von der Maus! Ich bin vielleicht ein Trottel! Wenn ich eben mit dem Zeigefinger gezuckt hätte, hätte sie sofort gewusst, von wem diese Mail kommt! [email protected], das ist meine Mailadresse, und die sieht sie natürlich automatisch, wenn ich ihr die Mail schicke! Mann, bin ich bescheuert.
    Das wäre mal wieder typisch Charlie Brown gewesen. Aber Glück gehabt, gerade noch mal gut gegangen. Und das bedeutet natürlich, dass ich mir jetzt erst mal eine neue Mailadresse besorgen muss. Kurz
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