Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chalions Fluch

Chalions Fluch

Titel: Chalions Fluch
Autoren: Lois McMaster Bujold
Vom Netzwerk:
keinen Fall eines magischen Attentats, das nicht auch den Täter das Leben gekostet hätte. Auf welchem Weg auch immer der Beschwörer den Bastard zwingen konnte, einen seiner Dämonen in die Welt zu lassen – dieser kehrte immer mit zwei Seelen zurück oder mit überhaupt keiner!
    Und weil das so war, müsste in der vergangenen Nacht ein weiterer Leichnam zurückgeblieben sein, irgendwo in Baocia … Diese Konsequenzen machten die Anwendung von Todeszaubern nicht eben beliebt. Todeszauber erlaubten keinen Handel oder den Einsatz von Stellvertretern in ihrem zweischneidigen Sensenschwung: Zu töten hieß getötet zu werden. Ein Messer, das Schwert, Gift, ein Knüppel – beinahe jede andere Möglichkeit war besser, wollte jemand seine eigenen mordlüsternen Bemühungen überleben. Doch in Selbsttäuschung oder Verzweiflung griff immer mal wieder jemand auf dieses Mittel zurück. Dieses Buch musste unbedingt der Dorfgeistlichen zurückgebracht werden, damit sie es an den Vorgesetzten im Tempel weiterleiten konnte, der den Fall letztendlich im königlichen Auftrag bearbeitete. Cazaril setzte sich auf und schlug das Buch zu.
    Der warme Dampf, der Rhythmus der Arbeit der Frauen und ihrer Stimmen sowie seine eigene Erschöpfung ließen Cazaril schließlich auf die Seite sinken. Er rollte sich auf der Bank zusammen und legte sich das Buch als Kissen unter die Wange. Nur für einen Moment würde er die Augen schließen …
    Er schreckte aus dem Schlaf. Sein Hals fühlte sich steif an, und unerwartet ertasteten seine Finger weiche Wolle … eine der Waschfrauen hatte ihm eine Decke übergeworfen. Unfreiwillig entfuhr ihm ein dankbarer Seufzer angesichts dieser Freundlichkeit. Mühsam richtete er sich auf und schaute nach dem Sonnenstand. Der Innenhof lag inzwischen beinahe vollständig im Schatten. Cazaril musste einen Großteil des Nachmittags verschlafen haben. Das Geräusch, das ihn geweckt hatte, war der dumpfe Aufprall seiner eigenen Stiefel gewesen. Die Wäscherin hatte sie, soweit es noch möglich war, gereinigt und geputzt und neben ihm fallen lassen. Den Stapel mit Cazarils gefalteter Kleidung – die feineren Sachen wie auch die Lumpen – legte sie zu ihm auf die Bank.
    Cazaril erinnerte sich an das Verhalten des Badejungen und fragte schüchtern: »Habt Ihr einen Raum, wo ich mich umziehen kann, gute Frau?« Unbeobachtet!
    Sie nickte freundlich und führte ihn in ein schlichtes Schlafgemach an der Rückseite des Hauses. Dort ließ sie ihn allein. Abendlicht fiel durch das kleine Fenster. Cazaril ordnete die saubere Wäsche und betrachtete voller Abscheu den schäbigen Aufzug, den er seit Wochen getragen hatte. Ein ovaler Spiegel auf einem Ständer in der Ecke, der auffälligste Ziergegenstand dieses Raumes, erleichterte ihm die Entscheidung.
    Vorsichtig, mit einem weiteren Dankgebet an den Geist des Verstorbenen, zu dessen unerwartetem Erben er nun geworden war, zog Cazaril die makellose, eng anliegende, karierte Hose an, das fein bestickte Unterhemd, die Robe aus brauner Wolle – die warm war vom Bügeln, wenngleich noch ein wenig klamm am Saum – und zuletzt den schwarzen, ärmellosen Mantel, der in einer reichen Fülle von Stoff und Silberglanz bis zu den Knöcheln fiel. Die Kleidung des Toten passte von der Länge her, obwohl sie lose um Cazarils ausgemergelte Gestalt schlackerte. Er setzte sich aufs Bett und zog seine Stiefel an, deren Absätze schräg waren und deren Sohlen abgelaufen bis auf wenig mehr als die Dicke von Pergament. Seit … drei Jahren? … hatte er sich nicht mehr in einem Spiegel gesehen, der größer gewesen wäre als eine Handfläche. Dieser Spiegel hier war aus funkelndem Glas und ließ sich so neigen, dass Cazaril sich von Kopf bis Fuß betrachten konnte, immer die Hälfte seines Körpers.
    Ein Fremder schaute zu ihm zurück. Bei den fünf Göttern, seit wann habe ich das Grau im Bart? Mit zitternden Fingern strich er über sein ordentlich kurz geschnittenes Haar. Wenigstens war sein Haupthaar noch nicht aus der Stirn gewichen – noch nicht weit jedenfalls. Wenn Cazaril hätte raten sollen, was er in dieser Garderobe darstellte – Kaufmann, Edelmann oder Gelehrter –, hätte er auf einen Gelehrten getippt, einer von der besessenen Sorte: hohläugig und ein bisschen verrückt. Um ihm einen höheren Rang zuzubilligen, hätten zu seiner Ausstattung Ketten aus Gold oder Silber gehört, Fibeln, ein kostbarer Gürtel mit Beschlägen oder Edelsteinen, und schwere Ringe mit glänzenden
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher