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Capitol

Capitol

Titel: Capitol
Autoren: Orson Scott Card
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verstehen, was mit ihr los ist, wenn Sie uns sagen könnten, wie sie war, bevor sie Somec nahm.«
    »Ganz recht, es entspricht nicht dem Ethos, aber ich wußte, daß Sie das wissen wollten, und deshalb bin ich hergekommen. Ich bin bereit, Ihnen zu helfen. Ich bin überzeugt, daß sie meinen Vertrauensbruch ihr gegenüber gutheißen würde, wenn er dazu beitragen kann, ihr das Leben zu retten. Sie würde gern weiterleben, oder besser: weiterleben unter den bestmöglichen Umständen.«
    George Rines zeigte ihm Niederschriften seines Dialoge mit Marian Williamson, die jetzt glaubte, sie sei Lydia Harper.
    »Das ist seltsam«, bemerkte Dr. Manwaring.
    »Ich weiß«, sagte Georg. »Wie seltsam?«
    »Nun, ich sollte Ihnen sagen, daß ich nicht an eine Seele glaube. Ich glaube nicht einmal an einen Geist, sondern lediglich an Gehirntätigkeit. Aber ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, ohne auf dergleichen zurückzugreifen.«
    »Sie haben mir noch nicht gesagt, was Sie erklären wollen.«
    »Marian Williamson war sehr religiös. Natürlich nicht in formalem Sinne. Sie war in keiner Organisation. Aber sie glaubte aus tiefstem Herzen an Gott. Und sie glaubte, daß er in ihrem Leben ganz direkt eine Rolle spielte. Wann immer sie im Geschäftsleben einen Rivalen ausschaltete, schrieb sie ihren Erfolg Gott zu. In Wirklichkeit hatte sie den armen Teufel natürlich unterboten und ihm so den Boden unter den Füßen weggezogen. Oder auch ihr, denn sie nahm auf das Geschlecht der Kontrahenten keinerlei Rücksicht. Sie machte alle fertig. Sie sehen also, in diesem Dialog könnte es sich um Marian handeln. ›Oh, Gott, hilf mir‹, sagt sie in allen drei Gesprächen, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Und noch etwas. Die Sache mit dem Sex. Marian führte ein aktives Sexualleben. Sie war nicht prüde. Sie war zwar nie verheiratet und hatte keine Kinder, aber sie kostete sozusagen die Früchte aus dem Garten Eden. Diese Sätze im letzten Dialog allerdings, in denen sie darüber spricht, daß sie sich verkauft hat. Das war für sie sehr wichtig. Geschäft und Liebesleben verstand sie scharf zu trennen. Sie schlief nie mit jemandem, der in ihrer Branche tätig war. Das nahm sie sehr genau – Sex nur aus Liebe und nicht für Geld. Verstehen Sie? Dies könnte sie gewesen sein.«
    »Nicht notwendigerweise die Sprachmuster, auf dem Gebiet bin ich kein Experte. Aber nach dem, was Sie mir über Somec erzählt haben, dürfte doch überhaupt kein Gedächtnis mehr existent sein, oder irre ich?«
    »Nur was das Gedächtnis aufgenommen hat wird gelöscht. Der Instinkt bleibt.«
    »Ich bin eine Art Behaviorist, Dr. Rines, und es ist mir unmöglich, dies dem Instinkt zuzuschreiben. Bettnässen und Daumenlutschen kann ich akzeptieren. Selbst Homosexualität könnte genetisch bedingt sein, aber die Umwelt hat doch einen gewissen Einfluß.«
    »Ich kenne die verschiedenen Lehrmeinungen nicht so gut.«
    »Ich vermute, das ist auch nicht so besonders wichtig. Ich sage Ihnen nur, welche Schule ich vertrete, denn daher ist meine Schlußfolgerung aus allem selbst für mich eine Überraschung.«
    »Schlußfolgerung?«
    »Eine Hypothese. Die Gene sind Träger merkwürdiger Dinge. Dinge, an die wir nie gedacht haben. Eine Neigung zur Überwindung aller Hindernisse. Eine Tendenz, Sex und Geschäft zu trennen. Wie kann das genetisch bedingt sein? Ich kann nur vermuten, daß etwas in der DNA oder eine Beziehung zwischen verschiedenen Proteinen mit gewissen Reaktionen auf die Umwelt vereinbar ist und mit anderen unvereinbar. Es liegt in den Genen. Wenn das der Fall ist, wofür, zum Teufel, braucht man dann einen Psychotherapeuten?«
    George zuckte die Achseln. »Das habe ich mich schon immer gefragt.«
    Einen Augenblick schien Dr. Manwaring verärgert. Dann lachte er. »Ich auch. Wir helfen nur wenigen Leuten, und nie helfen wir denen, die unsere Hilfe am dringendsten brauchen. Sie sind kein Psychotherapeut, nicht wahr? Dennoch wäre ich trotz meiner jahrelangen Ausbildung froh gewesen, wenn auch nur eines meiner Gespräche mit Marian Williamson so glatt verlaufen wäre.«
    »Ich danke Ihnen. Sie haben mir enorm geholfen.«
    »Lassen Sie mich Ihren Bericht lesen, wenn Sie ihn geschrieben haben.«
    »Gern. Darf ich die Bandaufzeichnung unserer Unterhaltung verwenden?«
    »Selbstverständlich. Wie wollen Sie ihn nennen?«
    »Was nennen?«
    »Diesen Effekt. Was halten Sie von ›Das Seelensyndrom‹?«
    »Wissenschaftler, die ernsthaft über die Seele reden, werden unter
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