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Capitol

Capitol

Titel: Capitol
Autoren: Orson Scott Card
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Schlimmsten an.«
    Nur, wenn sie wollen.
    »Ich muß es. Oh, Gott, hilf mir, ich bin doch keine alte Frau, Doktor. Ich bin erst achtunddreißig. Seit ich nach meinem Gedächtnisschwund aufwachte, habe ich noch in keinen Spiegel geschaut, aber selbst wenn ich jetzt häßlich bin, Doktor, früher war ich eine recht hübsche junge Frau. Doktor, ich – auch dies mag albern klingen, aber es stimmt –, ich bin in meinem Leben sexuell nie besonders gehemmt gewesen.«
    Das scheint heutzutage auch niemand zu erwarten.
    »Und ich bereue es auch nicht. Aber auf dem College war ich ohne Geld. Ich weiß nicht, ob Sie sich an die Rezession der siebziger Jahre erinnern, Doktor. Jedenfalls konnten meine Eltern mich nicht mehr auf der Schule halten, und ich war entschlossen, eine Ausbildung zu absolvieren. Also fing ich an – ich fing an, Geld dafür zu nehmen.«
    Für Sex?
    »Ich war eine Hure. Meine Verabredungen traf ich über ein paar Männer, die meine Geliebten gewesen waren. Ich nahm zwanzig Dollar. Ich war billig. Aber ich blieb auf dem College.«
    Sie sind nicht die erste Frau, die das getan hätte.
    »Das weiß ich. Darum geht es nicht, es ist nicht so, daß ich es mißbillige, obwohl ich es doch tu. Das heißt, heute mißbillige ich es, aber bevor ich eben aufwachte, war das nicht der Fall. Wichtig ist, daß ich gar nicht glauben kann, daß ich so etwas je getan habe.«
    Aber Sie erinnern sich daran, es getan zu haben.
    »Aber ich würde so etwas nie tun!«
    Aber Sie haben es getan. Sie wollen sich die Wahrheit nur nicht eingestehen.
    »Ich weiß, ich weiß, aber Doktor, ich schwöre im Namen Gottes, daß ich es nie, nie, nie, tun würde. Es ist unmöglich. Ich kann mit mir nicht mehr leben, seit ich das getan habe!«
    Patientin weint unkontrolliert.
    Nur deswegen, Lydia?
    »Nein, auch andere Dinge. Die Art, wie ich mein Make-up trug, um verführerisch zu wirken. Ich sehe mich noch vor dem Spiegel sitzen und mich über den Anblick freuen. Die Erinnerung daran macht mich ganz krank. Und die Art, wie mein Vater immer über mein Leben bestimmt hat. Jahrelang habe ich alles getan, was er wollte. Ich war so traurig, als er starb. Heute freue ich mich, daß er tot ist. Und das ist schrecklich, denn ich weiß noch genau, wie gern ich ihn hatte. Warum sollte ich vergessen haben, wie sehr ich ihn liebte?«
    Das weiß ich nicht.
    »Weil er ein egoistisches Schwein war und mich immer gängeln wollte, darum. Oh, ich kann nicht glauben, daß ich das gesagt habe. Das ist nicht meine Sprache, Doktor. Ich schlafe für Geld mit Männern, aber ich gebrauche nicht solche Sprache. Ich werde verrückt, Doktor. Ich verliere den Verstand. Nichts in meinem Leben scheint noch zusammenzupassen. Ich will mich immer wieder umbringen.«
    Hoffentlich tun Sie das nicht.
    »Glauben Sie, daß diese Magenschmerzen vom Krebs kommen?«
    Das können wir untersuchen lassen.
    »Wenn ich Krebs habe, Doktor, bringe ich mich um. Das wäre nämlich das Letzte.«
    Das werden wir untersuchen lassen, aber sagen Sie nicht dauernd, daß Sie sich umbringen wollen.
    »Verzeihen Sie. Ich habe noch nie so geredet. Ich weiß nicht, warum ich jetzt so rede. Danke, daß Sie mir zugehört haben, Dr. Rines. Bin ich wirklich verrückt?«
    Für mich hört sich alles ganz normal an.
    »Wirklich? Sie würden nicht lügen?«
    Ich würde lügen, wenn ich dächte, daß es nützlich wäre. Aber im Augenblick lüge ich nicht.
    »Danke. Recht vielen Dank.«
    Bis morgen dann.
    Als George sie am nächsten Morgen besuchte, war sie katatonisch und konnte nicht sprechen.
    George las das Dossier, das mit ihrem Körper zusammen eingeschlossen war, seit sie auf Somec gesetzt wurde. Es war ein Dossier über Marian Williamson, nicht Lydia Harper. Sie war eine eiskalte Geschäftsfrau, die Dutzende von anderen Leuten ruiniert hatte, um in der Geschäftswelt nach oben zu kommen. Mit Mißerfolgen wurde sie nicht fertig – wie sie in ihrer Autobiographie schrieb. Sie ließ sich ihre Pläne nicht durchkreuzen, nicht einmal vom Krebs. Deshalb hatte sie Somec genommen.
    Die Autobiographie erwähnte auch einen Psychotherapeuten in Boston, und George ließ ihn auf Regierungskosten nach Berkeley kommen.
    »Dr. Manwaring, Sie ahnen ja nicht, wie dankbar ich Ihnen bin, daß Sie gekommen sind.«
    »Als Sie mir die Situation schilderten, konnte ich nicht gut ablehnen.«
    »Ich werde Sie bitten, gegen Ihr Berufsethos zu verstoßen, Doktor. Sie kennen Marian Williamsons Situation. Wir würden viel besser
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