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Camp Concentration

Camp Concentration

Titel: Camp Concentration
Autoren: Thomas M. Disch
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weitere Ausbreitung der Epidemie unternommen worden ist. Emsig sagt, in der Krankenstation seien Radio und Fernsehen verboten worden. Notgedrungen muß ich’s ihm glauben.

    79.
    Ich weiß nie, wann er mich beobachtet und wann nicht. Wenn er’s jetzt tut, werde ich diesen Abschnitt wohl kaum beenden können.
    Aus dem distanziert freundlichen Emsig, der sich meine Klagen gutwillig angehört hat, ist jetzt mein Peiniger geworden. Von Tag zu Tag denkt er sich neue grausame Scherze aus; für ihn ist das wahrscheinlich eine Art Experiment. Als ich zu Beginn meiner Blindheit versuchte, auch weiterhin die Gemeinschaftsräume - Bibliothek, Speisesaal usw. - zu benutzen, bekam ich anzügliche Bemerkungen und unterdrücktes Lachen zu hören oder mußte vergeblich nach meiner Gabel tasten. Diese Vorfälle haben Emsig offenbar zu seinen Quälereien ermutigt. Als ich mich heute hinsetzen wollte, um meinen Frühstückstee zu trinken, zog Emsig den Stuhl weg. Lautes Gelächter. Ich glaube, ich habe mich am Rücken verletzt. Ich habe mich bei den Ärzten beschwert, aber die Furcht hat Automaten aus ihnen gemacht. Sie halten es für ratsam, nur noch mit mir zu sprechen, wenn es sich um Krankheitssymptome handelt.
    Immer wenn ich mich bei Haast anmelden will, sagt man mir, er habe keine Zeit. Die Wärter nehmen sich jetzt, wo sie wissen, daß ich nicht mehr für Experimentierzwecke tauge, ein Beispiel an Skilliman, der sich offen über meine Hilflosigkeit lustig macht, mich ›Simson‹ nennt und mich am Haar zieht. Er weiß, daß mein Magen ständig revoltiert, und stellt mir mit Vorliebe Fragen wie diese: »Weißt du eigentlich, was für ein Scheißzeug du da ißt, Simson? Was hat man dir denn da auf den Teller gelegt?«
    Emsig scheint entweder nicht im Zimmer zu sein oder nicht mitzulesen. Ich habe fast den ganzen Tag französische Gedichte getippt, um ihn loszuwerden. Meine Beschwerden habe ich übrigens auch in anderen Sprachen formuliert, aber da Haast nicht darauf reagiert hat, nehme ich an, daß er sich solche Aufzeichnungen gar nicht mehr übersetzen läßt oder daß ihn mein Schicksal nicht mehr interessiert.
    Seltsam, daß ich Haast fast für einen Freund gehalten habe!

    80.
    Heute hat mich Schipansky besucht, zusammen mit zwei anderen ›Holzköpfen‹, Watson und Quire. Obwohl die Angelegenheit mit keinem Wort erwähnt wurde, merkte ich, daß bei der Konfrontation mit Skilliman mein Schweigen den Sieg davongetragen hat. (Sogar der Teufel kann sich im eigenen Netz fangen!)
    Man hat Schipansky gestern und vorgestern gesagt, ich sei zu krank, um Besuch zu empfangen. Daß er heute hereingelassen wurde, hat er nur mit Fredgrens Hilfe und mit der Drohung, in Streik zu treten, erreicht. Skilliman hat ein Besuchsverbot über mich verhängt. Die Genehmigung für Schipansky mußte sich Fredgren über Skillimans Kopf hinweg bei Haast holen.
    So sehr ich mich über den Besuch gefreut habe - im Grund hat er mir nur meine wachsende Entfremdung bewußt gemacht. Die drei saßen, schweigend oder Banalitäten murmelnd, an meinem Bett, als besuchten sie ihren sterbenden Vater, dem sie nichts mehr erzählen und von dem sie nichts mehr erwarten können.

    81.
    Ich wagte nicht, sie nach dem Datum zu fragen. Ich habe die Orientierung verloren. Ich weiß nicht, wieviel Zeit mir noch bleibt. Ich will es nicht wissen. Ich bin so elend, daß ich auf ein rasches Ende hoffe.

    82.
    Fühle mich
    etwas
    besser.
    Aber nur etwas. Schipansky brachte mir eine Schallplatte: Sargents Neuaufnahme von Messiaens Chronochromie. Während ich zuhörte, spürte ich, wie meine kreisenden Gedanken wieder Kontakt zur Wirklichkeit fanden. Währenddessen sagte Schipansky kaum ein Wort.
    Für den Blinden gibt es so wenig Anhaltspunkte, um das Schweigen anderer zu deuten!

    83.
    Schipansky ist nicht mein einziger Besucher. Obwohl ich Emsigs Dienste nicht mehr in Anspruch nehme, findet er immer wieder Gelegenheit, mir Streiche zu spielen, vor allem während der Mahlzeiten. Ich erkenne ihn jetzt bereits am Schritt. Schipansky hat mir gesagt, daß Haast versprochen hat, etwas dagegen zu tun, aber wie soll man sich gegen seine ›Beschützer‹ schützen?

    84.
    Oft folgt auf heftige Schmerzen ein visionärer Augenblick, in dem ich durch den Schleier des Irdischen zu dringen glaube. Aber wenn ich mir danach die Goldklumpen betrachte, die ich aus jenen Fernen mitgebracht habe, merke ich, daß sie aus Glimmer sind. Falls Sie nicht sicher sind, auf wen sich dieser Scherz
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