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Camp Concentration

Camp Concentration

Titel: Camp Concentration
Autoren: Thomas M. Disch
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von dieser Angst, durch brechendes Gezweig zur Erde hinab.
    Der Jäger nähert sich der Beute. Noch nicht tot, noch nicht ganz tot. Ein Flügel zuckt noch, sinkt herab, zuckt wieder. Noch nicht ganz tot.

    91.
    Der Körper löst sich auf. Das Atmen fällt schwer, der Magen streikt. Nach jeder Mahlzeit wird mir übel. Habe 30 Pfund abgenommen. Laufen ist zu mühsam. Unregelmäßiger Herzschlag. Das Sprechen tut weh.
    Und trotzdem fürchte ich mich noch immer vor der Dunkelheit. Vor dem dunklen Kasten.

    92.
    Wenn ich mich nur einspinnen könnte wie eine Seidenraupe! Wenn man sich nur in die alten tröstlichen Vorstellungen flüchten könnte! Wenn ich wenigstens in diesen letzten Tagen wieder etwas dümmer sein dürfte!

    93.
    Skilliman ist hinausgegangen, um die Wärter zu holen, Quire ist auf dem Weg zu Haast. Es ist zu einer Konfrontation gekommen. Kurz zusammengefaßt:
    Schipansky und seine 3 Freunde besuchten mich und brachten zwei weitere Kollegen mit. Das bedeutet, daß Sk.s. Assist. jetzt 6:6 gegeneinander stehen. Das Gespräch drehte sich wie immer um die Mögl. einer Heilung. Aber offenbar haben wir heute die ›kritische Menge‹ erreicht, denn plötzlich brachen wir aus den alten Geleisen aus und beschränkten uns nicht mehr auf den mediz. Bereich. Wir diskutierten einen undurchführbaren Plan nach dem anderen, in der Hoffnung, daß einer davon vielleicht doch der Schlüssel zur Rettung sein könnte. (Zweifellos waren es ähnlich verzweifelte Überlegungen, die M. damals zu seinem alchimistischen Experiment bewogen haben.) Wir sprachen über Forschungen auf dem Gebiet der mechan. Aufzeichnung und Speicherung von Gehirnwellen; über Joga; über Methoden (z. B. Gefriertrocknung), durch die der körp. Verfall so lange aufgehalten werden könnte, bis ein Heilmittel entdeckt wäre; ja sogar über die Idee der Zeitreise (!) und im Zusammenhang damit über interstellare Reisen, mit denen vielleicht ein ähnlicher Zweck erreicht werden könnte: die Rückkehr auf die bereits in der Zukunft lebende Erde. Sch. verstieg sich sogar zu der Idee, daß ein weltweiter Versuch gemacht werden sollte, Gott irgendeine Antwort abzuringen, da wir im Grund ja doch nur auf ein Wunder warteten! Der kühne Berness schlug vor, zu fliehen (!!!), wogegen ich einwandte, wir hätten so wenig Mögl. zur geheimen Vorbereitung, daß wir gezwungen wären, unter den Augen des Aufsichtspersonals einen Plan auszuhecken. Die Zeit ist abgelaufen. Und ich hätte so gern bis 100 weitergeschrieben.

    94.
    Der Herr ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten! Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen!
    So die Bösen, meine Widersacher und Feinde, an mich wollen, mein Fleisch zu fressen, müssen sie anlaufen und fallen.
    Wenn sich schon ein Heer wider mich legt, so fürchtet sich dennoch mein Herz nicht. Wenn sich Krieg wider mich erhebt, so verlasse ich mich auf Ihn.
    Eins bitte ich vom Herrn, das hätte ich gerne: daß ich im Hause des Herrn bleiben möge mein Leben lang, zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn und seinen Tempel zu betrachten. Ich bin so unbeschreiblich, so maßlos, so wider alle Erwartungen glücklich ! Das Glücksgefühl schlägt wie eine riesige Woge über mir zusammen, die Gnade Gottes überwältigt mich. Ich kann sehen. Mein Körper ist gesund. Das Leben ist mir wiedergegeben, und die Welt, die schöne, wieder zur Heimat gewordene Welt, wird sich nicht nach Armageddon schicken lassen, ohne Widerstand zu leisten.
    Ich bin jetzt wohl eine Erklärung schuldig. Aber eigentlich möchte ich nur noch singen! Zusammenhängend berichten, Sacchetti, zusammenhängend! Anfang, Mitte, Schluß.
    Beim Schreiben des 93. Abschnitts wurde ich von Skilliman unterbrochen, der mit einigen Wärtern, darunter Emsig, in die Krankenstation zurückkehrte.
    »Los, schert euch weg, ihr Dreckskerle! Mr. Sacchetti ist viel zu krank, um Besuch zu empfangen.«
    »Nein, Doktor, wir bleiben hier. Entschuldigen Sie, aber Mr. Haast hat’s uns erlaubt«, sagte Schipansky mit unsicherer Stimme.
    »Wenn ihr nicht alle sechs - wo ist Quire? - auf der Stelle hinausgeht, wird man euch hinausbefördern! Ich habe die Wärter ermächtigt, euch so in die Zange zu nehmen, wie sie es für angebracht halten. Würde vielleicht jemand dafür sorgen, daß das Schreibmaschinengeklapper aufhört?«
    Es war natürlich Emsig, der dafür sorgte. Er stand offenbar ganz nahe bei mir (wahrscheinlich hatten sich die Wärter über den ganzen
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