Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Camp Concentration

Camp Concentration

Titel: Camp Concentration
Autoren: Thomas M. Disch
Vom Netzwerk:
bezieht: auf mich!
    Ein Jammer, daß das Gehirn sogar jetzt nichts anderes als ein Gefäß voller Chemikalien ist, und der Augenblick der Wahrheit nur das Resultat eines Oxydationsprozesses.

    85.
    Noch immer gehen mir die Verse von Thomas Nashe nach. Ich zähle sie wie die Perlen eines Rosenkranzes.

    Verwelken müssen Leib und Leben;
    Das Ende ist allem vorgegeben;
    Schnell schwindet selbst der Pest Gewalt;
    Ich bin krank, ich sterbe bald.
    Herr, erbarme dich unser!

    86.
    Schipansky, Watson, Quire und ein neuer Bekehrter, Berness, haben abwechselnd bei mir Wache gehalten. Und das (obwohl sie es bestreiten) trotz Skillimans ausdrücklichem Verbot. Meist beschäftigen sie sich mit irgend etwas, manchmal lesen sie mir vor, manchmal unterhalten wir uns. Watson fragte mich, ob ich nach all diesen Erfahrungen wieder den Kriegsdienst verweigern würde, wenn ich mich noch einmal vor die Entscheidung gestellt sähe. Ich konnte weder ja noch nein sagen. Wahrscheinlich bedeutet das, daß ich es letztlich doch wieder tun würde. Was tun wir nicht alles, um konsequent zu erscheinen!

    87.
    Schipansky hat endlich seine fast krankhafte Zurückhaltung aufgegeben. Er hat seit dem Abend, an dem Skilliman unser Gespräch unterbrach, über jene seltsame Auseinandersetzung zwischen der beredten Macht des Bösen und der stummen Macht des Guten nachgedacht.
    »Ich wollte einfach nicht locker lassen, bis ich eine überzeugende Antwort gefunden hätte. Aber wie immer gab es ein Pro und ein Kontra, eine These und eine Antithese. Und dann gab plötzlich ein völlig irrationales Argument den Ausschlag. Ich hörte mir gerade Vickers mit der Jagdarie aus Die Frau ohne Schatten an. Nur diese Arie. Und plötzlich hab’ ich gedacht: So möchte ich auch singen können! Natürlich weiß ich, daß das unmöglich ist - in meinem Alter und überhaupt ... Aber trotzdem hab’ ich mir’s so sehr gewünscht wie nie etwas in meinem ganzen Leben. Und das scheint die Antwort gewesen zu sein, denn von da an gab es kein Dilemma mehr.
    Wenn ich hier jemals rauskomme und nicht sterben muß, dann weiß ich, was ich tun werde. Ich werde Gesang studieren. Und seit ich mich dafür entschieden habe, fühle ich mich einfach ... glücklich. Das Schlimme ist nur, daß ich jetzt, wo ich so gern leben möchte, nicht leben darf!«
    »Was werden Sie mit der Zeit, die Ihnen jetzt noch bleibt anfangen?«
    »Ich habe mich hier bereits mit Medizin befaßt. Ausreichende biologische Kenntnisse bringe ich sowieso mit. Es fällt mir nicht schwer. Vieles, was die Medizinstudenten lernen müssen, ist sowieso unnötig.«
    »Und wie steht’s mit Watson und Quire und Berness?«
    »Es war Watsons Idee. Ich beneide ihn darum, daß er immer, wenn er eine Idee hat, überzeugt davon ist, daß sie die einzig richtige und moralisch vertretbare ist. Skilliman kommt gegen ihn nicht an, und für uns ist seine Dickköpfigkeit eine große Hilfe. Jetzt, wo wir zu viert sind - und mit Ihnen zu fünft -, kann uns Skilliman mit seinem Gerede und seinen Drohungen nicht mehr so leicht einschüchtern.«
    »Glauben Sie, daß es noch eine Chance gibt?«
    Minutenlanges Schweigen. Dann: »Entschuldigen Sie, Mr. Sacchetti, ich vergaß, daß Sie mein Kopfschütteln nicht sehen können. Nein, ich sehe eigentlich keine Chance. Ein Heilmittel zu finden, setzt unzählige Experimente voraus. Das kostet Zeit und Geld. Vor allem Zeit.«

    88.
    Wie H. H. mir gesagt hat, wollen die Manager jener schändlichen Stiftung nicht zugeben, daß es zu einer Epidemie gekommen ist. Einige Ärzte, die, unabhängig voneinander, der Krankheit auf die Spur gekommen sind, hat man mit Geld oder mit drastischeren Methoden zum Schweigen gebracht.
    Indessen werden die Zeitungsschlagzeilen immer absonderlicher. In Dallas und Fort Worth hat eine neue Welle von Supermorden eingesetzt. In einer einzigen Woche wurden drei Museen beraubt, und der Stadtrat von Kansas City hat Andy Warhol als Verwalter der Parkanlagen angestellt. Die Welt scheint unterzugehen. Nicht durch Eis und nicht durch Feuer, sondern durch Zentrifugalkraft.

    89.
    Ein Schlaganfall. Meine linke Hand ist gelähmt, und ich tippe mit dem rechten Zeigefinger. Mühsam.
    Die meiste Zeit denke ich darüber nach, wie ungeheuerlich diese Dunkelheit ist. Oder ich rede mit ihr. Wie Milton es getan hat. Das heilige Licht.

    90.
    Gedichte spenden jetzt ebenso wie die Musik keinen Trost mehr, weder die von Nashe noch meine eigenen. Die hochfliegendsten Gedanken stürzen, durchbohrt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher