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Camp Concentration

Camp Concentration

Titel: Camp Concentration
Autoren: Thomas M. Disch
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meines Hauses blicke ich auf die leeren Straßen, die die Flut erwarten.
    (Gott, hilf mir; denn das Wasser geht mir bis an die Seele. Ich versinke in tiefem Schlamm, da kein Grund ist; ich bin im tiefen Wasser, und die Flut will mich ertränken.)
    Ich bin wieder in der Krankenstation. Ich starre wieder auf ein Wasserglas. Jetzt muß ich ständig schmerzstillende Tabletten nehmen.
    Niemand besucht mich.

    61.
    Es wird immer schlimmer.
    Länger als eine Stunde kann ich nicht mehr lesen. Dann bekomme ich Augenstechen. Haast kam (vielleicht weil ich über meine Einsamkeit geklagt habe?), und ich bat ihn, mir jemand zum Vorlesen zu schicken. Er will sehen, was sich tun läßt.

    62.
    Milton, das solltest du miterleben! Oder noch besser deine drei Töchter! Der arme Emsig kann keine Gedichte vorlesen. Er versteht keine Fremdsprache und stolpert über lange Wörter. Jetzt sind wir bei Wittgenstein gelandet. Wenn Emsig unsicher und holprig diese sybillinischen Sätze liest, entsteht eine fast musikalische Kontrastwirkung.
    Die Wittgenstein-Ausgabe stammt aus Mordecais Bücherregal und enthält viele handschriftliche Anmerkungen. Die Hälfte davon ist mir völlig unverständlich.

    63.
    Geht es mir besser oder schlechter? Ich weiß kaum mehr, nach welchen Symptomen ich das beurteilen soll. Ich kann wieder herumlaufen, bin aber noch benommen. Emsig richtet unter meiner Anleitung und nach meinen Entwürfen die Aktualitätensammlung ein.
    Im unbenutzten Theaterraum standen noch die Magnum-Opus-Apparate. Haast ließ sie in einen anderen Raum bringen, achtete aber darauf, daß sie mit äußerster Vorsicht behandelt wurden. Der Aberglaube verfolgt uns noch im Tod.

    64.
    Ein Nachtrag:
    Pfarrer Augustus Jacks mußte wegen einer nicht näher bezeichneten, aber ernsten Krankheit seinen Besuch im Weißen Haus verschieben.

    65.
    Ein neuer Zeitungsausschnitt:
    Lee Harwood, der bekannte angloamerikanische Lyriker, hat zum erstenmal Werke in einer von ihm selbst erfundenen Sprache veröffentlicht. Linguisten, die sich mit diesen ›Neologismen‹ befaßt haben, bestätigen Harwoods Behauptung, daß diese Sprache im wesentlichen nicht aus einer anderen abgeleitet ist, auch nicht aus einer der nicht schriftlich fixierten Sprachen. Harwood plant, am Stadtrand von Tucson, Arizona, eine Art Utopia zu errichten: ein Gemeinwesen, in dem seine Sprache gesprochen und ›eine ihr gemäße Kultur‹ entwickelt werden soll. Für dieses Projekt haben sich bereits dreihundert Interessenten aus zwölf Staaten angemeldet.

    66.
    Ich habe Einladungen verteilen lassen. Mein ›Museum‹ soll morgen vormittag um elf eröffnet werden. Die Einladungen waren nur noch eine Formsache, denn Haast hatte mir bereits gesagt, daß alle kommen werden.

    67.
    Das Museum ist eröffnet und bereits wieder geschlossen worden. Aber es hat seinen Zweck durchaus erfüllt.
    Der erste, der seine Schlüsse aus meiner Sammlung zog, war Skilliman. Als er die Fotos vom Schauplatz der Vazey-Morde sah, die der Täter so großzügig den Zeitungen zur Verfügung gestellt hatte, bekam er einen Hustenanfall. Dann fragte er mich wütend: »Wie lange haben Sie das schon gewußt, Sacchetti?«
    »Es handelt sich dabei doch nicht um geheimes Material, Doktor. Das sind alles Zeitungsausschnitte.« Natürlich hatte ich mich vorher bei Schipansky erkundigt und erfahren, daß Skilliman selten Zeitungen liest.
    Inzwischen hatte es bei den meisten von Schipanskys Kollegen gedämmert. Sie drängten sich um uns und flüsterten miteinander. Haast sah das Flammenzeichen an der Wand und versuchte hilflos, es von irgend jemand erklärt zu bekommen.
    Skilliman bemühte sich sichtlich, seine Erregung zu bezähmen. Bemüht höflich sagte er: »Darf ich fragen, von wann der erste dieser Ausschnitte stammt?«
    »Die Erstaufführung von Adrienne Leverkühns Weltraumfugen fand am 30. August statt. Das ist allerdings einer der komplizierteren Fälle. Ich habe die Meldung in meine Sammlung aufgenommen, weil Aspen so nahe beim Lager liegt und weil die Dame bestimmt lesbisch veranlagt ist.«
    »Jetzt verstehe ich!« Skilliman zeigte seinen Ärger wieder offen. »Was bin ich für ein blödes Arschloch!«
    »Sie also auch?« fragte ich freundlich. Aber zu solchen Scherzen war er nicht aufgelegt. Hätte er über seinen eigenen Körper etwas besser Bescheid gewußt, dann hätte er mir für diese Bemerkung bestimmt eine runtergehauen.
    »Wovon sprecht ihr beide?« Haast drängte sich zu uns vor. »Was bedeutet das
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