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Camp Concentration

Camp Concentration

Titel: Camp Concentration
Autoren: Thomas M. Disch
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Tisch, die Wände, auf die ich meine Phantasien projiziert habe - abwechselnd zu schrumpfen und sich auszudehnen. In einem Augenblick scheint alles in einer Nußschale Platz zu haben, im nächsten sprengt es alle Grenzen. Meine Augen schmerzen. Mir ist übel, als wäre ich vollgestopft mit verdorbenem Essen und unfähig, es zu erbrechen.
    Ein Stoiker, aber nicht stoisch genug, um nicht ein bißchen zu jammern, um sich nicht ein wenig Mitleid zu wünschen.
    Mach weiter, Sacchetti, mach weiter!
    Skilliman war heute auch krank. Seine sonst so unberedten Hände zitterten fieberhaft. Der ›Leberfleck‹ an seinem Kinn hat sich purpurrot gefärbt. Wenn Skilliman hustet, strömt er einen fauligen Geruch aus. Es stinkt, wie wenn man einen fahren läßt; oder wie verdorbene Mayonnaise. Sein körperlicher Verfall scheint ihm ein perverses Vergnügen zu bereiten. Er macht den Eindruck, als verwende er die Symptome als Beweismittel in einem Prozeß gegen einen Verräter (seinen eigenen Körper!).

    55.
    Sein Monolog:
    »Los, Sacchetti, moralisieren Sie mal schön! Diese Zurückhaltung paßt gar nicht zu Ihnen. Erzählen Sie uns, warum es gut ist, gut zu sein! Führen Sie uns mit einem Paradox auf den Weg der Tugend - oder in den Himmel! Sie wollen nicht? Ein Lächeln ist keine Antwort. Lächeln, Paradoxe, Argumente, Tugend, Himmel - das kauf ich Ihnen einfach nicht ab! Zum Teufel damit! Aber die Hölle kauf ich Ihnen ab. Es ist zum mindesten denkbar, daß man an die Hölle glauben kann. Die Hölle, das ist das berühmte blutende Loch in der Mitte aller Dinge. Sie scheinen mich nicht zu verstehen, obwohl die Sache sonnenklar ist. Mit anderen Worten: Die Hölle ist das zweite thermodynamische Gesetz; sie ist das starre, ewige Gleichgewicht, das aus einer endlosen Misere das sogenannte Leben macht. Eine universale Fehlkonzeption; alles wird abgespult, aber ein Zweck steckt nicht dahinter. Aber die Hölle ist mehr als nur das. Sie ist etwas, das wir selbst machen können. Und eben darin besteht ihre Faszination.
    Sie halten mich für frivol, Sacchetti. Sie verziehen den Mund, aber Sie sagen nichts. Weil Sie genau wissen, daß Sie sich damit aufs Glatteis begeben würden, stimmt’s? Wenn Sie nämlich ganz ehrlich wären, würden Sie sich auf meiner Seite wiederfinden. Sie versuchen, es hinauszuschieben, aber es starrt Ihnen bereits ins Gesicht. Na was wohl? Der Sieg von Louie II.!
    Ja natürlich, ich lese Ihr Tagebuch. Vor einer Stunde habe ich wieder mal darin geblättert. Wo sonst könnte ich dieses Wortgeklingel gefunden haben! Einige Abschnitte sollten Sie übrigens Cheeta lesen lassen; vielleicht regt es ihn dazu an, seinen engen Horizont etwas zu erweitern. Unter uns gesagt, ich bezweifle, daß Sie nur Verachtung für ihn empfinden. Die Lippen solcher Aussätzigen zu küssen - das müßten Heilige wie Louis lernen! Du liebe Güte, Ihre Vergleiche strotzen von Freud!
    Aber wir sind alle nur Menschen, nicht wahr? Sogar Gott ist nur ein Mensch, wie unsere Theologen zu ihrem Ärger entdeckt haben. Erzählen Sie uns doch von Gott, Sacchetti, von dem Gott, an den Sie zugegebenermaßen nicht mehr glauben. Erzählen Sie uns etwas von den Werten und erklären Sie uns, warum wir sie anerkennen sollen. Wir beide, Cheeta und ich, haben nämlich einen ziemlichen Mangel an Werten. Ich neige dazu, sie für ebenso willkürlich zu halten wie die Gesetze der Architektur oder der Volkswirtschaft. Willkürlich oder, noch schlimmer, nur dem eigenen Interesse dienend. Sehen Sie, ich esse auch gern, aber das ist für mich kein Grund, die Erdnußbutter in den Himmel der Unsterblichen zu heben. Sie machen sich lustig über Erdnußbutter, aber ich kenne Sie, Sacchetti! Ihnen läuft bei anderen Dingen das Wasser im Mund zusammen. Pâté de foie gras, truite braisée, truffes. Sie bevorzugen die französischen ›Werte‹ aber im Magen ist alles der gleiche Brei.
    Sagen Sie doch was, Sacchetti! Zeigen Sie mir ein paar bleibende Werte! Ist kein bißchen Glanz mehr um den Thron Ihres verstoßenen Gottes? Wie wär’s mit der Macht? Mit dem Wissen? Mit der Liebe? Wollen sie sich nicht wenigstens für eins von den dreien einsetzen?
    Ich gebe zu, daß es für Moralisten etwas problematisch ist, die Macht zu verteidigen. Wie Gott in Seiner väterlichen Eigenschaft oder wie einer Bombe wohnt der Macht eine gewisse Rücksichtslosigkeit inne. Macht muß mittels anderer Werte qualifiziert und, wenn nötig, begrenzt werden. Und was sind diese anderen Werte? Louis,
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