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Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Titel: Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End
Autoren: Jennifer Worth
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Schaubühnenstar
    Wie du hineinblaffst!
    Und was wird es dir nutzen, Papa?
    Oder wars nur heiße Luft?
    »Überlass alles mir«,
    Der Alte voll Eitelkeit ruft.
    Wenn sie einen arroganten, dominanten Vater hatte, muss es sie kolossale Anstrengungen gekostet haben, sich durchzusetzen und von zu Hause auszuziehen. Jemand mit einem schwächeren Charakter wäre wahrscheinlich zugrunde gegangen.
    Als junge Frau mit Liebeskummer berührten mich ihre Gedichte tief im Innern und ließen mir die Tränen in die Augen steigen. Wie etwa dieses:
    An einen unbekannten Gott
    Ich sang zu dir
    An jenem Tag voll Genuss
    Und du warst nah
    Ich dacht an dich
    Bei des Liebsten Kuss
    Spürt’, du warst da
    Wandt mich an dich
    Als unsre Liebe schnell schwand
    Kraft gabst du mir
    Ich brauchte dich
    Und meine Trauer verband
    Mich schließlich mit dir.
    »Als unsre Liebe schnell schwand.« Ja, damit kannte ich mich aus. Muss man denn so viel Leid ertragen, wenn man den unbekannten Gott kennenlernen will? Wer und wann und worum ging es überhaupt in der Geschichte um Schwester Monica Joans vergebliche Liebe? Ich wollte es wissen, aber ich traute mich nicht zu fragen. Ist er gestorben oder waren ihre Eltern dagegen? War er unerreichbar? War er bereits verheiratet oder ließ seine Zuneigung einfach nur nach, worauf er sie verließ? Ich wollte es unbedingt wissen, doch ich konnte sie nicht fragen. Eine so aufdringliche Frage verdiente eine bissige Antwort, die mir ihre scharfe Zunge sicher nicht vorenthalten hätte.
    Religiöse Themen kamen in ihrer Lyrik überraschend selten vor, und da ich mehr über ihren Glauben erfahren wollte, befragte ich sie zu diesem Aspekt in ihren Gedichten. Als Antwort zitierte sie aus Keats’ Ode auf eine griechische Urne:
    »Schönes ist wahr und Wahres schön« – dies ist
    Was ihr auf Erden wisst, mehr frommt euch nicht.
    »Bitte mich nicht, das große Mysterium des Lebens zu verewigen. Ich bin nur eine einfache Arbeiterin. Wenn du Schönheit suchst, lies die Psalmen, Jesaja oder Johannes vom Kreuz. Wie könnte mein armseliger Stift solche Verse hervorbringen? Wenn du Wahrheit suchst, lies die Evangelien – vier kurze Berichte von Gott, als er Mensch wurde. Mehr gibt es nicht zu sagen.«
    Sie sah an diesem Tag ungewöhnlich müde aus, und als sie sich zurück in ihre Kissen lehnte, betonte das winterliche Licht, das durch das Fenster fiel, ihre blassen aristokratischen Züge und ich spürte eine tiefe Zuneigung in mir. Als unreligiöses Mädchen war ich versehentlich in ein Kloster geraten. Ich hätte mich damals zwar nicht als überzeugte Atheistin bezeichnet, für die Spiritualität nichts als Unsinn bedeutete, aber durchaus als Agnostikerin, die sehr von Zweifeln und Unsicherheit geprägt war. Ich kannte keine Nonnen und betrachtete sie zunächst mit einem gewissen Amüsement und später dann mit Verwunderung an der Grenze zu ungläubigem Staunen. An dessen Stelle trat schließlich zunächst Respekt und dann tief empfundene Liebe.
    Was konnte Schwester Monica Joan dazu bewegt haben, ein privilegiertes Leben gegen die Anstrengungen einzutauschen, die die Arbeit in den Elendsvierteln der Londoner Docklands mit sich brachte? »War es die Liebe zu den Menschen?«, fragte ich sie.
    »Natürlich nicht«, erwiderte sie scharf. »Wie soll man denn ignorante, ungehobelte Leute lieben, die man nicht einmal kennt? Kann man etwa Dreck und Schmutz lieben? Oder Läuse und Ratten? Wer kann es gern haben, so ermattet zu sein, dass es schmerzt, und trotzdem noch weitermachen? Solche Sachen kann man nicht lieben. Man kann nur Gott lieben und durch Seine Gnade zur Liebe zu Seinen Menschen gelangen.«
    Ich fragte sie, wie es gekommen war, dass sie sich berufen fühlte, und wie sie ihr Gelübde abgelegt hatte. Sie zitierte aus Der Himmelhund von Francis Thompson:
    Ich floh Ihn durch die Nächte, durch die Tage
    Ich floh Ihn durch die Läufe vieler Jahre
    Ich floh Ihn durch der Labyrinthe Gänge
    Meiner Seele und in der Tränen Mitte
    Scheute ich Ihn.
    Ich fragte sie, was »Ich floh Ihn« bedeutete, und sie wurde sauer.
    »Fragen, Fragen – du machst mich noch verrückt mit deinen Fragen, Kind. Finde es selbst heraus – das müssen wir letzten Endes alle. Niemand kann dir zum Glauben verhelfen. Nur Gott kann dir dieses Geschenk geben. Suche und du wirst finden. Lies das Evangelium. Einen anderen Weg gibt es nicht. Geh mir nicht mit deinen ewigen Fragen auf die Nerven. Geh mit Gott, Kind, geh mit Gott.«
    Sie war offenbar müde.
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