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Caligula - Eine Biographie

Caligula - Eine Biographie

Titel: Caligula - Eine Biographie
Autoren: Aloys Winterling
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Skrupellosigkeit eigneten sich nun solche Anklagen als aristokratische Strategie, um die Aufmerksamkeit des ansonsten nur schwer zugänglichen Kaisers zu erregen. Man konnte sich – je schwerer der zur Anzeige gebrachte Fall, desto besser – um die kaiserliche Sicherheit verdient machen. Gleichzeitig konnte man persönliche Rivalen vergleichsweisegefahrlos ausschalten. Es winkten Belohnungen, da dem erfolgreichen Ankläger – einen Staatsanwalt gab es im antiken Rom nicht – bei Verurteilung des Beschuldigten ein Anteil an dessen Vermögen zugesprochen wurde.
    Ein charakteristischer Fall, den Tacitus berichtet, zeigt die lebensbedrohlichen, wenngleich zum Teil skurrilen Folgen, die die Zulassung solcher Anzeigen hervorrief. Das Opfer war ein vornehmer Ritter namens Titius Sabinus, die Täter waren vier Senatoren prätorischen Ranges. Sie strebten nach dem Konsulat und hofften, durch eine erfolgreiche Anzeige gegen Sabinus die Unterstützung des mit jenem verfeindeten mächtigen Prätorianerpräfekten Sejan zu gewinnen. Der mit Sabinus vertrauteste der vier, Lucanius Latiaris, lud den Ritter zu sich ins Haus und äußerte Klagen über Sejan, sogar Schmähungen gegen den Kaiser, in die jener schließlich einstimmte. Zugleich hatten sich die anderen drei zwischen Dach und Zimmerdecke versteckt, um als Zeugen zugegen zu sein. Gemeinsam veranlaßten sie eine Anzeige, die zur Hinrichtung des Sabinus führte. «Zu keinem anderen Zeitpunkt», so berichtet Tacitus, «lebte die Bürgerschaft mehr in Angst und Schrecken; man suchte sich gegen die nächsten Freunde zu decken, mied Zusammenkünfte und Gespräche, hütete sich vor bekannten und unbekannten Ohrenzeugen; sogar nach stummen und leblosen Dingen, Zimmerdecken und Wänden sah man sich ängstlich um.» (Tac.
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4, 69, 3)
    Anfangs waren es vielfach neu in den Senatorenstand aufgestiegene Personen, die diese Art von Beförderung der eigenen Karriere wählten, und Mitglieder alter Adelsfamilien, die aufgrund ihrer Herkunft als potentielle Rivalen des Kaisers gelten konnten, diejenigen, die ihnen zum Opfer fielen. Entscheidend war jedoch, daß der Senat insgesamt, vor dem die Fälle verhandelt wurden, aufgrund des fehlenden Einschreitens des Kaisers nicht anders konnte, als seine eigenen Mitglieder zu verurteilen, so daß sich die Ereignisse als eine Art Selbstzerstörungsprozeß der Aristokratie vollzogen. Tiberius war offensichtlich die Fähigkeit abhanden gekommen, die tatsächliche Bedeutung der jeweiligen Fälle einzuschätzen. Sueton berichtet in seiner Vita des Kaisers, daß ihn die Angst vor Verschwörungen beherrschte – und diese wurde um so begründeter, je häufiger entsprechende Prozesse vorkamen.
    Die Zunahme von Schmeichelei, Intrigen, Denunziation und Angst in der aristokratischen Kommunikation – an der Tiberius’ Verhalten ganz gegen seinen Willen einen entscheidenden Anteil hatte – führte nun zu einem völligen Rückzug des Kaisers aus der aristokratischen Gesellschaft, ja aus Rom. Im Jahre 26 begab er sich nach Kampanien, im folgenden Jahr auf die Insel Capri. Bis zu seinem Tode im Jahre 37 betrat er Rom nie mehr wieder. Es war ein ungeheuerlicher Vorgang: Der Herrscher des römischen Weltreiches zog sich aus Rom, dem Zentrum dieses Reiches, zurück und kam fortan nur noch schriftlich seinen Regierungsaufgaben nach. Hand in Hand mit diesem Rückzug, der anschaulich Tiberius’ Scheitern in der Ausübung der Kaiserrolle dokumentierte, ging der Aufstieg des Sejan einher. Ihm kam als Prätorianerpräfekt – dem Chef der kaiserlichen Leibgarde – schon aufgrund seiner militärischen Funktion eine wichtige Rolle zu. Vor allem aber besaß er in hohem Maße genau die Fähigkeiten, die dem Kaiser abgingen: Er steuerte den zum Teil skrupellosen Opportunismus, der die aristokratische Kommunikation beherrschte, in seinem Sinne, nutzte das Geflecht von Intrigen zu seinen eigenen Zwecken und – er monopolisierte schließlich die kaiserliche Gunst, die Tiberius der Aristokratie vorenthielt.
    Sejan hatte sich durch geschicktes Verhalten das absolute Vertrauen des Tiberius erworben. Spätestens seit dessen Rückzug nach Capri gewann er eine überragende Machtposition. Er kontrollierte den gesamten, über die Prätorianer laufenden Briefverkehr des Kaisers, hatte dessen Umgebung mit persönlichen Vertrauten durchsetzt und war so in der Lage, sämtliche Kommunikationen mit dem Kaiser, den Zugang zu ihm und die Einflußnahmen auf ihn zu steuern. Die Folge
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