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Caligula - Eine Biographie

Caligula - Eine Biographie

Titel: Caligula - Eine Biographie
Autoren: Aloys Winterling
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einen Inzestversuch mit ihrem eigenen Sohn, dem Kaiser Nero zu. Ein Inzest Agrippinas mit ihrem Bruder, der sehr gut dazu gepaßt hätte, ist ihm jedoch unbekannt geblieben. Die Geschichte ist also irgendwann nach dem Tod Caligulas erfunden worden.
    Ein anderes Beispiel: Mitte des Jahres 39 fand eine breit angelegte Verschwörung gegen Caligula statt, an der ein wichtiger Militärkommandant in Germanien, die Schwestern des Kaisers, sein engster senatorischer Vertrauter, die amtierenden römischen Konsuln und weite Kreise der römischen Aristokratie beteiligt waren. Es handelte sich um eine das Leben des Kaisers gefährdende, hochdramatische Angelegenheit, die eine grundsätzliche Änderung seines Verhaltens gegenüber seinen senatorischen Standesgenossen zur Folge hatte. Die frühen Quellen schweigen vollständig darüber. Auch Sueton erwähnt die Verschwörung in seiner Caligula-Biographie mit keinem Wort, schildert nur wirr erscheinende Reaktionen des Kaisers. Aus zwei nebenbei gemachten Erwähnungen in seinen Biographien der Kaiser Claudius und Vespasian geht jedoch hervor, daß ihm die Ereignisse, die überdies inschriftlich belegt sind, bestens bekannt waren.
    Die Beispiele lassen sich, wie noch zu sehen sein wird, leicht vermehren. Sie laufen auf folgenden Befund hinaus: Die aus der Antike überlieferten Berichte über Caligula verfolgen das deutlich erkennbare Ziel, den Kaiser als ein sinnlos handelndes Ungeheuer darzustellen. Sie geben nachweisbar falsche Informationen, die dieses Bild stützen sollen. Sie unterschlagen Informationen, die diesem Bild widersprechen könnten. Sie reißen die Handlungen des Kaisers aus ihrem Zusammenhang, so daß ihr ursprünglicher Sinn nicht mehr oder nur noch unter großen Schwierigkeiten erkennbar ist. Sie geben Beurteilungen seines Verhaltens ab, die häufig den von ihnen selbst präsentierten Mitteilungen widersprechen.
    Schließlich der Wahnsinn: Seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. gab es in der Antike wissenschaftliche Erörterungen und Erklärungsversuche psychopathologischer Phänomene. Zur Zeit des Kaisers Tiberius, Caligulas Vorgänger, schrieb der römische Autor Cornelius Celsus darüber in seinen Büchern
De medicina.
Er charakterisiert «Wahnsinn»
(insania)
als eine Krankheit, diesich durch unsinniges Verhalten oder unverständliches Reden zeige. Er schildert Patienten, bei denen Wahnvorstellungen auftreten, der Verstand aber nicht gestört ist, und solche, bei denen der Verstand selbst wahnhaft verwirrt ist. Später schreibende Mediziner, die dieselbe Unterscheidung benutzen, führen als Beispiel für ersteres einen Kranken namens Theophilos an, der – obwohl er ansonsten korrekt reden und urteilen konnte – glaubte, daß Flötenspieler um ihn herum Tag und Nacht dauernd musizierten, Geräusche machten und ihn anschauten. So schrie er durchs ganze Haus und befahl, sie hinauszuwerfen. Als Beispiel einer Störung des Verstandes selbst wird ein Patient geschildert, der unter der Vorstellung litt, keinen Kopf zu haben. Er meinte, ein enthaupteter Tyrann zu sein.
    Auch im römischen Recht wurde das Problem behandelt. In einer Reihe von Texten, die Tötungsdelikte, Majestätsverbrechen, Injurien oder Sachbeschädigung betreffen, werden «Wahnsinnige»
(furiosi, insani)
für schuldunfähig erklärt: «Denn welche Schuld soll bei dem sein, der nicht bei Verstand ist?», fragt der Rechtsgelehrte Pegasus
(Dig.
9, 2, 5, 2). * Ja, es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß bei Verbrechen, die ein Wahnsinniger begeht, nicht er selbst, sondern die zu bestrafen sind, die es unterlassen haben, auf ihn aufzupassen.
    Wie soll man sich das vorstellen? Ein römischer Kaiser, der sich unsinnig verhält, der unverständlich redet, dessen Wahrnehmung der Realität gestört ist und der in diesem Zustand alle möglichen Verbrechen begeht, ohne daß ihn jemand daran hindert? Wenn es so gewesen wäre, würde der Vorwurf des Wahnsinns auf die Gesellschaft zurückfallen, die ihn umgab: auf die römische Aristokratie vor allem, das heißt auf den Senat, der seine Entscheidungen umsetzte, auf die Magistrate in Rom, die seine Anweisungen befolgten, auf die Heerführer und Statthalter im Reich, die seinen Befehlen gehorchten; aber auch auf die Funktionäre der Finanzverwaltung, die in seinem Auftrag riesige Ressourcen umverteilten, auf die Personen, die ihn täglich umgaben und ihn in seinen Entscheidungen berieten; schließlichauf das Volk von Rom, das ihm in Zirkus und Theater zujubelte.
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