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Caligula - Eine Biographie

Caligula - Eine Biographie

Titel: Caligula - Eine Biographie
Autoren: Aloys Winterling
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Ein wahnsinniger Kaiser?
    Caligula – der Mann, der von 37 bis 41 n. Chr. römischer Kaiser war, gilt als monströse Entartung eines tyrannischen Herrschers: Er trank in Essig aufgelöste Perlen und aß mit Gold belegte Speisen. Er zwang vornehme Frauen und Männer zum Sex, betrieb ein Bordell in seinem Palast, ja er schändete sogar seine eigenen Schwestern. In sinnloser Grausamkeit quälte er vor allem die römischen Senatoren. Folterungen und Hinrichtungen waren an der Tagesordnung. Er ließ zwei Konsuln ihrer Ämter entheben, weil sie vergessen hatten, seinen Geburtstag zu feiern. Er hielt sich für ein übermenschliches Wesen und zwang seine Zeitgenossen, ihn als Gott zu verehren. Er wollte sein Pferd zum Konsul machen und plante, das Zentrum des Reiches von Rom nach Alexandria zu verlegen.
    Sein Biograph Sueton, dem wir die meisten dieser Informationen verdanken, und die übrigen antiken Berichterstatter haben auch eine Erklärung für sein Verhalten: Er war wahnsinnig. Der Philosoph Seneca, ein Zeitgenosse, der ihn persönlich kannte, schreibt Caligula «Irrsinn» zu und hält ihn für eine «Bestie». Ein anderer Zeitgenosse, Philo von Alexandrien, der als Leiter einer Gesandtschaft in Kontakt mit ihm trat, spricht von seinem «verwirrten Geist». Der Ältere Plinius und Flavius Iosephus, zwei Autoren, die einige Jahrzehnte später schrieben, erwähnen sein «unsinniges Verhalten» und berichten über seinen «Wahn». Anfang des zweiten Jahrhunderts spricht Tacitus, der berühmteste Historiker der römischen Kaiserzeit, dessen Berichte über die Regierungszeit Caligulas selbst verlorengegangen sind, von dem «verwirrten Verstand» des Kaisers. Sueton, der die Lebensbeschreibung Caligulas ein knappes Jahrhundert nach dessen Tod schrieb, hält ihn für «geisteskrank», und auch Cassius Dio, der Anfang des dritten Jahrhunderts eine umfangreiche Römische Geschichte verfaßte, glaubt, der Kaiser habe «den Verstand verloren».
    Kein Wunder, daß auch die moderne Forschung diesen Utreilengefolgt ist: «Cäsarenwahnsinn» – so lautet die gängige Erklärung. Ludwig Quidde, der den Begriff Ende des 19. Jahrhunderts berühmt gemacht hat, charakterisiert diese «Krankheit» mit den Worten: «Größenwahn, gesteigert bis zur Selbstvergötterung, Mißachtung jeder gesetzlichen Schranke und aller Rechte fremder Individualitäten, ziel- und sinnlose brutale Grausamkeit.» Während sich diese Elemente «auch bei anderen Geisteskranken» fänden, bestehe das Besondere des wahnsinnigen Cäsaren darin, «daß die Herrscherstellung den Keimen solcher Anlagen einen besonders fruchtbaren Boden bereitet und sie zu einer sonst kaum möglichen ungehinderten Entwicklung kommen läßt.» Quiddes kurze biographische Skizze des Caligula zeichnet sich allerdings durch eine Doppelbödigkeit, durch eine Differenz von Gesagtem und Gemeintem aus: Sie war für die Zeitgenossen so eindeutig auf den regierenden – zweifellos nicht wahnsinnigen – deutschen Kaiser Wilhelm II. gemünzt, daß sie in kurzer Zeit 30 Auflagen erzielte, ihrem Autor aber drei Monate Haft und das Ende seiner akademischen Karriere einbrachte. Seinem Urteil über Caligula hat dies keinen Abbruch getan. Noch der Verfasser einer Biographie aus dem Jahre 1991 hält den Kaiser für «crazy», und in einem 1996 erschienenen Forschungsüberblick wird ihm «imperial madness» zuerkannt.
    Auf die Leser dieser Biographie des Caligula scheint also einiges zuzukommen. In der Tat. Die Dinge liegen allerdings erheblich komplizierter, als man auf den ersten Blick meinen könnte. Schon im 19. Jahrhundert wurde nämlich festgestellt, daß die antiken Berichte über diesen Kaiser keineswegs so eindeutig sind, wie sie zu sein vorgeben. Zum Beispiel Caligulas Sex: Bei der Behauptung, der Kaiser habe Inzest mit seinen drei Schwestern getrieben, handelt es sich um eine Falschinformation, die erstmals ein Jahrhundert nach seinem Tod bei Sueton auftaucht. Der Nachweis ist leicht zu führen: Die beiden mit dem aristokratischen Milieu Roms vertrauten und gut informierten Zeitgenossen Seneca und Philo, die den Kaiser mit Haßtiraden überziehen und die sich die Mitteilung dieses Sachverhaltes daher kaum hätten entgehen lassen, wissen offensichtlich nichts davon. Das gleiche gilt für Tacitus. Er würdigt in seiner Geschichte der frühen Kaiserzeit ausführlich das lasterhafteLeben der Jüngeren Agrippina, der Schwester Caligulas und Gattin des späteren Kaisers Claudius. Er traut ihr sogar
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