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Caligula - Eine Biographie

Caligula - Eine Biographie

Titel: Caligula - Eine Biographie
Autoren: Aloys Winterling
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allgemeine Beliebtheit, die dem «Soldatenstiefelchen» damit zufiel, zeigte sich noch 18 Jahre später in der Begeisterung, mit der die gesamte Bevölkerung auf seine Thronerhebung reagierte. In den dazwischenliegenden Jahren wurde der junge Caligula jedoch mit Erfahrungen ganz anderer Art konfrontiert.Der Verehrung an der Seite eines zukünftigen Kaisers folgte eine lange Phase von lebensbedrohenden Anfeindungen und Gefährdungen, denen seine Familie und er selbst ausgesetzt waren und denen Mutter und Brüder zum Opfer fielen.
4. Die Zustände im Alten Rom unter Tiberius
    Nicht nur für die persönlichen Erfahrungen des jungen Caligula, sondern auch für die Entwicklung der kaiserlichen Position als solcher und damit für die Art, wie Caligula selbst sie später bekleiden sollte, war die Herrschaft des Tiberius (14–37) von zentraler Bedeutung. Bei aller Schwierigkeit, Person und Handlungen des zweiten römischen Kaisers angemessen zu charakterisieren, ein Urteil ist unabweisbar: Der komplexen kaiserlichen Rolle, die ihm sein Stief- und Adoptivvater Augustus hinterlassen hatte, war er kommunikativ nicht gewachsen. Vereinfacht könnte man sagen, daß das, was Augustus schauspielerisch betrieben hatte, von Tiberius ernst genommen wurde. Hatte jener seine Macht gegenüber der Aristokratie ausgeübt, indem er so tat, als besäße er sie nicht, so besaß dieser die Macht, aber übte sie nicht aus. Hatten die Senatoren unter Augustus so tun können, als übten sie Macht aus, die sie nicht besaßen, so besaßen sie unter Tiberius Macht, die sie nicht ausüben konnten.
    Natürlich hatte sich der neue Kaiser als erstes das Gewaltmonopol gesichert, Leibgarde und Legionen waren auf ihn vereidigt worden. Gelegentlich ließ er auch vor dem versammelten Senat die Prätorianerkohorten exerzieren, eine höchst anschauliche Demonstration seiner Machtposition. Er mißbilligte jedoch die selbstverständliche, schon unter Augustus deutlich erkennbare Folge dieser Situation, daß nämlich die aristokratischen Akteure, deren jeweilige Lebenschancen in hohem Maße von kaiserlicher Förderung abhängig waren, ihr Handeln opportunistisch an seinen Wünschen orientierten. Statt dessen machte er ernst mit der wiederhergestellten Republik. Er ließ den Senat häufig über Sachverhalte beraten, die reale Machtfragen betrafen, ließ seine eigene Position dazu jedoch im Unklaren – und war verbittert mit entsprechenden Folgen für diebeteiligten Personen, wenn Entscheidungen fielen, die nicht seinen Wünschen entsprachen. Er schaffte es somit nicht, wie Augustus, die Paradoxie von Alleinherrschaft und republikanischen Institutionen durch eine doppelbödige, das heißt letztlich unehrliche Kommunikation zu überdecken, sondern er verhielt sich ehrlich und konfrontierte damit seinerseits die Senatoren mit paradoxen Verhaltensanforderungen: Sie sollten ihn als Kaiser akzeptieren, zugleich aber so agieren, als gäbe es ihn nicht, als sei der Senat wie in Zeiten der Republik das reale Machtzentrum des römischen Reiches.
    Die daraus resultierenden Schwierigkeiten der Kommunikation von Kaiser und Aristokratie im Senat hat Tacitus in seinen Schilderungen der tiberischen Zeit in den
Annalen
eindringlich vor Augen geführt. Es gehörte für die Senatoren großes Geschick dazu, das zu tun, was der Kaiser wollte, ohne zu wissen, was er wollte. Ein aufschlußreicher Fall wird aus dem Jahre 15 berichtet. Als Tiberius im Senat in einer wichtigen, ihn selbst betreffenden Angelegenheit unter Eid seine Stimme abgeben wollte und die übrigen Senatoren aufforderte, das gleiche zu tun, fragte der schon erwähnte Calpurnius Piso: «An welcher Stelle willst du stimmen, Caesar? Wenn als erster, weiß ich, welcher Meinung ich folgen muß; wenn nach allen anderen, dann fürchte ich, ich könnte aus Unwissenheit anderer Meinung sein.» (Tac.
ann.
1, 74, 5f.) Hier brachte ein als mutig bekannter Mann das Problem, das unausgesprochen die Kommunikation beherrschte, ausnahmsweise zur Sprache – nicht ohne es mit einem deutlichen Hinweis auf seine Unterwerfungsbereitschaft zu verbinden und doch ohne verhindern zu können, daß der Kaiser, wie Tacitus berichtet, durch diese Offenlegung beschämt wurde.
    Ein weiterer Sachverhalt verschärfte das Problem. Traditionell waren die Beziehungen innerhalb der römischen Aristokratie durch ein multipolares System politischer Freundschaften bestimmt. Freunde besuchten sich gegenseitig in ihren Häusern bei der Salutatio, einer Art
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